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Landgericht

Landgericht

Titel: Landgericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: U Krechel
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in England entwickeln würde, wußte er selbst nicht, war aber nicht eben hoffnungsvoll und sagte noch in den offenen Hallraum der Familie: Daß es schwierig sein werde mit seiner Tochter, habe Frau Dreis doch bemerkt. Er schaute ihr geradeaus ins Gesicht, voller Sympathie, ihr, die den wunderbar duftenden Käsekuchen gebacken hatte, den Selma dann doch nach langem Zögern, ohne ein Krümelchen zurückzulassen, aufgefuttert hatte. Er schaute die Fransen der Tischdecke an, hörte auf das wäßrige Ticken der Wanduhr, schaute Frau Dreis wieder an und wiederholte noch einmal, fast automatisch, daß es schwierig sein würde mit der Tochter, habe doch jeder bei dieser ersten Begegnung gemerkt. Und der Sohn?, fragte der alte Herr Dreis vernünftig. Seine Frau schöpfte so kräftig aus einem Linseneintopf auf den Teller des frisch gebackenen Landgerichtsdirektors, daß es ein Vergehen gewesen wäre, „nein, danke“ zu dem Angebot zu sagen. Also sagte er „gerne“, aß und bedankte sich auch für die Wurstringel, die in der dicken Suppe schwammen. Er war leicht zum Essen zu verführen. Die Familie Dreis hatte es schnell bemerkt. Und die Wärme des Essens beruhigte, sein baldiger Auszug, die Veränderungen in seinem und im Leben der Familie Dreis warfen schon ihren Schatten voraus. Mit dem Sohn gehe es sicher besser, sagte Kornitzer, nachdem er geschluckt hatte, Georg habe sein Deutsch nicht so verlernt wie Selma, und er sei altersgemäß Argumenten zugänglicher. Nette Briefe schriebe er, fügte Kornitzer noch hinzu, aber das war etwas übertrieben, es waren Briefe mit Mitteilungen, aber ohne Emotionen. Gut, gut, sagte Herr Dreis, und damit war das Thema abgeschlossen. Es schien für die Dreisens auch absehbar, daß sie so bald keinen Untermieter mehr aufnehmen mußten. (Dem Wohnungsamt ein Schnippchen schlagen.) Vielleicht gab es Nachrichten aus dem Gefangenenlager, vom Ehemann der jungen Frau Dreis, vom Vater der kleinen Evamaria, an den sie sich wohl kaum erinnern konnte. Sie lebte in einer Art von Schockstarre einer zukünftigen Freude auf den Vater entgegen, von dem man ihr viel erzählte, einer Freude, der eine bittere Lebensenttäuschung folgen könnte. (Stimmte das denn? Plötzlich kamen Kornitzer berechtigte Zweifel. War der Vater und Ehemann vielleicht auf andere Weise abhanden gekommen, und in der Familie wurde nur noch sein Mythos gebraucht?) Und so schlingerte das Gespräch wie die ganze Beziehung zu den Wirtsleuten hin und her, und es war nicht klar, wie was weggeschlingert wurde. Evamaria fragte schon mit einem kläglichen und gleichzeitig verführerischen Stimmchen: Onkel Konizzaa (sie konnte immer noch kein R sprechen, und niemand im Haus war der Meinung, es nütze ihr, es zu lernen), Onkel Konizzaa, fragte sie, du kommst mich doch besuchen, wenn du nicht mehr bei uns wohnst? Sie zog so eine Schnute, daß Kornitzer gar keine Wahl hatte als ihr zu versprechen: Natürlich käme er hier und da auf einen Sprung vorbei. (Er war ein Zeuge ihrer leidenschaftlichen Treppengeländerritte, die zum Glück ohne Stürze ausgegangen waren, und war ein wichtiger Mensch in ihrem Leben geworden.)
    Und er bemerkte aus den Augenwinkeln die junge Frau Dreis, wie sie sich dehnte und sehnte nach irgendetwas, das ihn, den Untermieter, erreichte, aber nicht wirklich meinte, wie sie sich schlängelte, Zeit verlor und vertrödelte zwischen der gemeinsam genutzten Waschküche, in der immer etwas auf einer einsamen Leine hing, was gerade abgenommen werden mußte, wenn er sich dort aufhielt (oh, Entschuldigung!), und dem Empfinden, etwas müsse geschehen, hier in diesem kleinen Haus. Sich zu informieren und von unglückseligen Sentimentalitäten Abstand zu nehmen, war kein Schaden. Und er, der Gast, der Untermieter, der frisch gebackene Landgerichtsdirektor, der in dem kleinen Backsteinhaus wohnte, brauche etwas, das keinen Namen hatte und vielleicht niemals einen Namen hätte, aber Kornitzer verstand sehr gut, daß in der Phase des Abschieds die junge Frau ihre Augen nicht mehr gesenkt hielt, sondern Ausschau hielt, lauerte, sich bereithielt. Ihre makellose Schlankheit, ihre helle Haut waren nicht nur ein Sehnen, sie waren eine Realität. Und gelänge ihr, wonach sie sich sehnte, wäre der Gast nicht mehr Gast, sondern eingebunden, an das Haus der Familie gefesselt, der jungen Frau Dreis ergeben. Sie hielt ihre Augen unter den hohen Augenbrauen nicht mehr gesenkt, manchmal machte sie ihrem Namen Ehre und schaute ziemlich

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