Landleben
bist zweimal darin vorge-
kommen.»
«Bitte, Schätzchen», sagt sie, ohne den Kopf zu drehen.
«Könntest du mir das nicht später erzählen? Ich versuche
gerade, Enron zu verstehen – wie sie das gemacht haben,
wie sie diese Vermögen für sich abgezweigt haben.»
«Später habe ich ihn bestimmt vergessen, aber macht
nichts», sagt er und spürt, wie der Bildersturzbach in sei-
nem Kopf verdunstet, funkelnd, als wäre darin ein Elixier
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von ihr, von ihrer beider gemeinsamem Leben enthalten.
«Macht nichts. Sag mir, was für heute auf dem Programm
steht.» Es war Samstag, in seiner Kindheit sein L
l
ieb ings-
tag, jedoch bedrohlich formlos in seinem Ruhestand.
Mit irritiert klappernden Augenwimpern sagt Julia, wäh-
rend sie auf die Version der Times von atemberaubender
Konzernkorruption starrt: «Nichts, erst abends Cocktail bei
den Achesons.»
«Oh, Gott. Müssen wir da hin?»
«Natürlich, mein Lieber. Miriam ist eine meiner besten
Freundinnen. U d Br
n
ad ist dein Freund.»
«Sie werden alle eingeladen haben. Man wird uns nicht
vermissen.»
«O doch. Warum tust du mir das jedes Mal an? Du amü-
sierst dich doch immer, wenn du erst mal da bist. Du bist
sogar richtig charmant, in deiner schüchternen Art.»
«Ich tue nur so, als ob ich mich amüsiere. Ich habe mir
mit diesen Menschen nichts zu sagen. Nichts.»
Owens Lebenswerk ist die Schaffung und Überwa-
chung von Computer-Software gewesen, und seit er sein
letztes kleines Büro in Boston, eine Vier-Personen-Con-
sultancy-Firma (drei Männer und eine Frau) aufgegeben
hat, weiß er nur wenig mit anderen zu reden. Die Tech-
nologie hat ihn in geometrischen Sprüngen und Sätzen
hinter sich gelassen; seine schmucken Algorithmen und
Schaltungen sparenden, gegabelten Befehle WENN ...
DANN, seine SONST- und OBWOHL-Schlaufen sind in-
zwischen so hausbacken wie Patchworkquilts. Angesichts
des Chip-Potenzials eines Desktop-IBM-Klons für tau-
send Dollar schwindelt und ekelt es ihn. All das Klingeln
und Pfeifen: realistische dreidimensionale Computerspie-
le, in Realzeit animiert; fest verdrahtete Programme, um
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digitale Fotos zu speichern, zu schneiden und abzutönen,
um digitale Home-Videos zu bearbeiten, um in hundert
verschiedenen Schriften zu drucken, Programme, mit de-
nen man Musik spielen kann, die in Zehntausende von di-
gitalisierten Tönen zerlegt ist, Programme, mit denen man
die endlos wachsende Bibliothek von Babel im Internet zu
Rate ziehen kann; Programme, mit denen man Viren und
Würmer und Spam und unerwünschte E-Mails abwehrt.
Der Einbruch von Dot-Com-Unternehmen hat die ganze
Industrie in Verruf gebracht, auch diejenigen, die wie er
ausgestiegen sind, als sie beinahe ganz oben waren. In der
sich als korrekt erweisenden Annahme, dass die Clinton-
Seifenblase sich nicht lange halten ließe, hatte Owen den
Lauf der – in der Seifenblase der zwanziger Jahre getätig-
ten und durch den Crash von 1929 ausgelöschten – Inves-
titionen umgedreht. Er hatte für den alten Mann, den er
von allen, die er früh geliebt hatte, am reinsten liebte, Ra-
che genommen.
Anders als seine Mutter war Grandpa Rausch nicht allzu
gegenwärtig gewesen, noch wie Owens Vater allzu abwe-
send, sondern gerade richtig: Er saß ruhig in der Mitte des
Sofas mit der Rückenlehne aus Rohr, während Owen auf
dem Wohnzimmerteppich mit seinen Tinker Toys und sei-
nen Kriegsflugzeugen aus Blei spielte oder den Lionel-Zug
immer wieder im Kreis und vor- und zurückfahren ließ, bis
der kleine schwarze Transformator heißlief und einen leich-
ten, gemütlichen Geruch von Verbranntem verströmte, wie
seine Mutter, wenn sie bügelte. Diesen Geruch verströmte
sie auch, wenn sie an ihrem Frisiertisch saß und mit dem
langstieligen Lockenstab an ihr kastanienrotes Haar ging.
Seine Mutter war heiß, heiß wie die Platte des Kohleofens
in der Küche, gefährlich anzufassen, obwohl sie die Küche
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erwärmte und sogar das ganze Haus. Sie hatte das Tempe-
rament der Rothaarigen, das, was sein Vater eine «schwa-
che Sicherung» nannte, und ihre Hand schnellte vor und
schlug Owen ins Gesicht, bevor er sich ducken konnte.
Sein Leben lang wünschte sich Owen Frauen, die kühl und
be
sonnen waren, außer w
enn er sie sich (was immer selte-
ner vorkam) anders wünschte.
«Sprich über die neuesten Nachrichten, die Wirtschaft»,
riet ihm Julia. «Ob wir wieder gegen den Irak in den Krieg
ziehen sollen
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