Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
Vom Netzwerk:
kündende Gesprächsfetzen aus anderen
    Zimmern des Hauses auf: Die Stelle seines Vaters war kei-
    neswegs sicher, die lokale Strumpfwarenindustrie stand vor
    dem Ruin, die Gesundheit seiner Mutter war heikel. Sie
    hatte hohen Blutdruck und Frauenbeschwerden. Abgese-
    hen von der Zeichnung im Geräteschuppen wusste Owen
    nichts über die weiblichen Geschlechtsorgane, aber dem,

    65
    was er mithörte, entnahm er, dass sie eine Einbahnstraße
    zur medizinischen Katastrophe darstellten. Und Grandpa
    und Grammy waren längst nicht mehr jung; sie schlurften
    in ihrem Zimmer umher, in dem es nach feuchtem Pa-
    pier roch, dem Geruch alter Menschen, bewegten sich am
    Rande des Verdämmerns und erschienen, entgegen aller
    Wahrscheinlichkeit, jeden Morgen wieder zum Frühstück.
    Owen durchlebte seine Tage und durchschritt die Klassen
    in der Sch l
    u e, dankbar dafür, dass seine Welt in der Mifflin
    Avenue heil blieb.
    Dann, als er dreizehn war, blieb sie es nicht mehr. Die
    Fabrik, in der sein Vater arbeitete, wurde geschlossen. Die
    Kriegsproduktion waren ihre letzten Atemzüge gewesen.
    Sein Vater lief die sommerheißen Straßen Altons ab, auf
    der Suche nach einer Stelle als Buchhalter. Die Demüti-
    gung zehrte sein Gesicht aus, färbte es gelb. Er befasste
    sich zwanghaft – absurd, fand Owen, der nie die Rechnun-
    gen sah – mit den Ausgaben für das Haus in der Mifflin
    Avenue, den Kosten für Heizung, Unterhalt, Wartung, mit
    dem Bedarf an frischer Farbe. In seinem Kopf war es ein
    weiteres «Wucher-Unternehmen» geworden. Er nannte es
    «Pops Torheit», er musste sich daraus befreien. Das Haus,
    das einzige, in dem Owen je gelebt hatte, wurde für die
    gleiche Summe, achttausendfünfhundert Dollar, verkauft,
    für die Owens Großvater es fünfundzwanzig Jahre zuvor,
    nach einem anderen Weltkrieg, gekauft hatte. Für die
    Hälfte dieses Betrags kauften sie ein Haus auf dem Land,
    meilenweit von allem entfernt, umgeben von erodierenden
    Feldern, Grillengezirp und Vogelgezeter. Das kleine Stein-
    haus hatte ein Jahr lang leer gestanden. Schwalben hatten
    Nester im Kamin gebaut, Flughörnchen lebten auf dem
    Dachboden, Wildkatzen hielten sich in den Heuballen in
    66
    der ungeweißten Scheune versteckt. Es gab keinen Strom,
    kein Telefon, keine sanitären Einrichtungen, und der Ein-
    bau dieser Dinge schluckte einen Großteil der restlichen
    viertausend Dollar. Außerdem brauchten sie ein Auto; in
    Willow hatten sie überallhin laufen können, alle fünf in
    fünf verschiedene Richtungen, wenn sie wollten, und für
    sieben Cent brachte die Straßenbahn sie direkt nach Alton
    mit seinen Kaufhäusern und Kinos. Daddy konnte in Alton
    keine Stelle finden. Die ganze Stadt siechte dahin, und er
    war mit über vierzig zu alt, sich umschulen zu lassen. Ein
    früherer Klassenkamerad in Norristown, nach Philadelphia
    hin, stellte ihn schließlich als Sozius in seinem Steuerbü-
    ro ein, für weniger Geld, als die Strumpfwarenfabrik be-
    zahlt hatte, und das Auto war auf diese Weise von morgens
    um acht bis abends um sechs weg. Owen blieb bei seinen
    Großeltern, seiner Mutter, einer Scheune voller Katzen
    mit Triefaugen und zwei flauschigen Collie-Welpen. Die
    Nachbarn waren Mennoniten, deren Kinder keine Zeit
    zum Spielen hatten, sie arbeiteten alle auf der Farm mit.
    Eine Meile entfernt gab es ein altes Gasthaus und einen
    Lebensmittelladen in einer Gruppe von sechs Häusern an
    der Straße, aber das war keine richtige Stadt. Owen blieb
    im Haus und las Sciencefictionromane und Krimis, die in
    englischen Dörfern spielten, und träumte von abwegigen
    Erfindungen, die ihn reich machen würden. Im Rück-
    blick auf sein Leben wurden diese Jahre meistens getilgt,
    sie passten nicht in seinen Lebenslauf, die sechs Jahre
    auf dem Lande, bevor er ans MIT und nach Neuengland
    ging.
    Die Kleinstadt, in der er jetzt lebt, höchstwahrschein-
    lich die letzte, abgesehen von dem BideaWee Pflegeheim,
    hat keine eigene Verwaltung, sondern ist ein Ortsteil von

    67
    Cabot City, einer Stadt von vierzigtausend Einwohnern.
    Haskells Crossing ist das ehemalige Sommerhaus-Gebiet,
    wo die riesigen Anwesen von Millionären – nach heutigem
    Geld Milliardären – aus Pittsburgh und Chicago in kleine-
    re Parzellen aufgeteilt worden sind, an die man sich aber
    immer noch erinnert und die noch immer als Grundlage
    für Komfort und Geräumigkeit gelten. Die großen Pluto-
    kraten mit ihren Jachten und privaten Anlegern und mei-
    lenlangen

Weitere Kostenlose Bücher