Landleben
Granitmauern und ausladenden Treppen, die zu
lang gestreckten Swimmingpools und Umkleideräumen
im neoklassischen Stil führten, mit ihren Tennisplätzen
aus rotem Hartlehm und ihren abstrusen Pavillons, haben
eine gewisse Aura hinterlassen, wie auch Kinder, die, in-
zwischen selbst dem Aussterben nah, sich daran erinnern,
wie sie jedes Jahr im Juni in Daddys privatem Eisen-
bahnwagen aus Chicago oder Cleveland an die Ostküste
kamen. Vor einem Jahrhundert, als die Gleise der Boston
& Maine Railroad von Boston an der Nordküste entlang-
führten, wurde die Kreuzung nach einem Salzmarsch-Far-
mer, Enoch Haskell, benannt, dessen Land aufgekauft
worden war. Seine verwitterten Holzgebäude wurden
niedergerissen und verbrannt und seine kargen Felder in
smaragdgrüne Rasenflächen verwandelt, aber sein Name
hat die Namen derer überdauert, die ihn vertrieben. An
der Südküste wurden die Pendler-Bahnstrecken nach dem
Krieg eingestellt, doch in nördlicher Richtung blieben sie
bestehen, und einmal in der Stunde lässt ein vorbeifahren-
der Zug das Granitgestein unter Owens und Julias Haus
leicht, aber merklich erbeben. Ihm gefällt das Elementare
daran, die h
i
andgreifl che Verbindung zwischen Transport
und Geologie.
Es gibt ein kleines Stadtzentrum – die Feuerwache, das
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Kriegerdenkmal, der französische Bäcker, die Bankfiliale,
ein 7-Eleven-Supermarkt, eine Obsthandlung, ein Natur-
kostladen, ein Drugstore, der unter dem Konkurrenzdruck
der CVS- und Walgreen-Ketten in den Einkaufszentren
schließlich aufgeben musste, eine Buchhandlung, ständig
davon bedroht, durch Borders und Barnes & Noble im
zehn Meilen entfernten Einkaufszentrum kaputtgemacht
zu werden, ein Pizza-Lokal, eine Reinigung, zwei mit-
einander konkurrierende Friseure, beide aus den Tropen
(Costa Rica, den Philippinen), ein scheiternder Blumen-
laden neben einem leeren Ladenlokal, einem ehemaligen
Reisebüro, das aufgrund des World-Trade-Center-Desas-
ters und der anschließenden Schwierigkeiten der Flugge-
sellschaften Pleite gemacht hatte, ein Familienrestaurant
und ein doppelt so teures Restaurant für Liebespaare und
die Wohlhabenden am Ort, wenn sie Gäste haben, die sie
beeindrucken wollen. Es gibt sogar ein Postamt in Haskells
Crossing, aus der Zeit, als die Haus- und Grundbesitzer ei-
nes Posta t
m s mit Bedarfshaltepunkten für würdig e
b fun-
den wurden.
Doch das geisterhafte Zentrum der Macht, das in Wil-
low an der fünffachen Kreuzung versammelt gewesen war,
residiert jetzt, drei Meilen und viele Eisenbahnübergänge
entfernt, im Rathaus, neben der Polizeiwache, im Zentrum
von Cabot City. Die Stadt, einst ein Weiler an einem Fluss
und nach dem Heimatort der frühen puritanischen Sied-
ler Colchester genannt, wurde umbenannt, zu Ehren des
Gründers der den Fluss verschmutzenden Lederfabrik,
die, zusammen mit ihren Tochterunternehmen, die mit
dreistöckigen Häusern dicht bebauten Straßen mit pol-
nischen, griechischen, irischen und sogar türkischen Fa-
brikarbeitern bevölkerte. Die Fabriken sind eingegangen,
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aber die Abkömmlinge der Arbeiter unterstützen weiter-
hin die Stadtverwaltung, die im Ortsteil Haskells Crossing
berüchtigt ist für überhöhte Steuerveranlagungen und für
Korrumpierbarkeit bei der Freigabe von Bauland. 1880
versuchte Haskells Crossing sich abzuspalten und sich mit
der benachbarten Sommerhaussiedlung Haven-by-the-Sea
zusammenzutun, doch der Versuch wurde auf dem Beacon
Hill vereitelt – nicht von den irischen Gesetzgebern, son-
dern durch das Veto des brahminischen Gouverneurs von
Boston, der einigen Quellen zufolge durch eine inoffiziel-
le Schenkung von Ledergeld beeinflusst worden war und
sich laut anderen nach dem Bürgerkrieg von hochgesinn-
tem konservativem Widerstand gegen Revolten und neue
Grenzziehungen jeglicher Art leiten ließ.
Wie seine Nachbarn mag Owen Haskells Crossing so, wie
es ist. Das selbst verwaltete Haven-by-the-Sea mit seinen
Versammlungen und hitzigen Übersteuerungsdebatten ist
ihm als Stadt zu selbstzufrieden, zu sehr nach innen ge-
kehrt. Die Bürokratie im fernen Cabot City lässt ihn, außer
finanziell, in Ruhe. Wasser, rostig, aber trinkbar, wird von
einem städtischen Reservoir seinen Hügel heraufgepumpt,
der Müll wird einmal in der Woche am Fuß seiner Auffahrt
abgeholt. Als er und Julia ein einziges Mal einen Diebstahl
anzeigten, erschien am selben Tag ein Polizist und sah sich
mit
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