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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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Händedruck, neckend und
schmeichelnd, scharten sie sich um ihn. Die Zeit lief den
Menschen seiner Generation davon, obwohl sie sich noch
in den besten Jahren wähnten, mit unendlichen Möglich-
keiten vor sich. Er gewöhnte sich langsam an den Anblick
seiner ehemaligen Geliebten, die, einst privat so wollüs-
tig, jetzt öffentlich schwanger war; sie jammerte so, dass
jeder es hören konnte, welche Schmerzen das Kind ihr
verursache, ihren Beinen, ihrem Rücken – ihrem schönen
nackten Rücken. In den letzten Monaten musste sie viele
Stunden im Bett zubringen, um diesen heiklen Eindring-
ling in ihrem Körper nicht zu verlieren. Als das Kind, nur
drei Wochen vor dem Termin, zur Welt kam, war es ein
Mädchen, von dem alle sagten, es sei Ian wie aus dem Ge-
sicht geschnitten. Das kleine Frühchen, kaum sechs Pfund
schwer, hatte Ians scharfe, verschrumpelte Züge und sei-
nen zusammengekniffenen Künstlerblick, wenn es aus der
vanillegelben Baby-Tragetasche nach oben wie in zu grel-
les Licht guckte. Owen war überzeugt gewesen, es würde
ein Junge werden; es war, als sei ein Gewicht, eine Schwere
von seinen Schultern genommen.
    «Ganz der Vater», sagte Ed an Owens Ohr. Er lehnte sich
von hinten auf Owen, umringt von Gästen, die sich auf der
Sonnenveranda der Slades drängten, um den Säugling zu
begutachten, der inzwischen drei Monate alt war, ein Mäd-
chen mit rotem Gesicht und dünnem, feinem Haar. Es war
Ostern im neuen Jahrzehnt, ungefiltertes Sonnenlicht fiel
durch die kahlen Äste auf die Korbmöbel auf der Veranda,
brach sich in den mittäglichen Cocktailgläsern und schien
der kleinen Nina in die schlitzförmigen Augen. Die Ent-
schlossenheit der Morisseys, mit den Namen ihrer Kinder
alliterativ zu spielen, war in Owens Augen grob und warf
rückblickend ein ungutes Licht auf die Freuden seiner Af-
färe. Alissa trug noch das Gewicht des Kindes. Ihre Brüste,
die für ihn gerade die richtige Größe gehabt hatten – je
eine runde Hand voll –, pressten mit ihrer neuen Bürde
gegen die seidene Bluse und die purpurne Jacke ihres Os-
teraufzugs. Die Leute hatten sich fein angezogen, obwohl
nur wenige zur Kirche gingen, auch nicht an Ostern. Die
Slades, das konventionellste Paar in ihrem Kreis, gingen
allerdings, und sie hatten sich angewöhnt, diese Brunch-
Party zu geben, wie es inzwischen von ihrem Freundes-
kreis auch erwartet wurde, als Teil des jährlichen Zyklus
von Festen. In diesem Jahr kam das Baby dazu – wie um
die Schar der Kinder aufzustocken, die langsam zu groß
wurden, um noch beim Ostereiersuchen mitzumachen, das
die Slades jedes Jahr pflichtbewusst veranstalteten. Owen
entdeckte in dem Säugling mit dem roten kleinen Gesicht
und den weit offenen stahlblauen Augen nichts von sich.
Eds Hand auf seinem Rücken hatte eine irritierende Be-
deutungsschwere, und um sich davon zu befreien, drehte
Owen sich um und sah seinen Partner an.
    «Schwer, sich den Ziegenbart vorzustellen», sagte er.
    Ed lächelte schwach. Auch er hatte, ohne Staceys Sala-
te und Sprossen, zugenommen. Stacey hatte ihn verlassen
und war zurück nach Kalifornien gegangen. Er war wieder
Junggeselle, der reihum zum Essen eingeladen wurde, und
erklärte es einfach damit, dass sie zu jung gewesen sei und
einer anderen Kultur angehöre. Kalifornien war nicht nur
ein anderer Bundesstaat, es war ein anderes Land. Con-
necticut war ihr nie ganz real vorgekommen – zu grün, zu
idyllisch, alles zu nah beieinander –, und da er viele Stun-
den im Büro sein musste, war sie einsam gewesen. So deu-
tete er um, was für ihn ein schmachvolles Versagen sein
musste – ein Mangel an Lebenssaft, an genügend Unter-
haltungswert in den Augen einer jungen Frau. Wenn sie
nur ein Kind bekommen hätten, spekulierte er Owen ge-
genüber, wäre es vielleicht anders ausgegangen. Er hatte
ein Kind gewollt, sie nicht. Owen dachte noch oft an den
Abend, an dem sie Pot geraucht und wie Stacey die ganze
Zeit auf dem Fußboden gesessen hatte. Er fragte sich, ob
ihr Angebot, ihm einen zu blasen, einmalig gewesen war,
nur für ihn, oder ob sie es bei anderen in Middle Falls mit
mehr Erfolg wiederholt hatte. Es tat ihm Leid, dass sie
nicht mehr da war, denn jetzt hätte er das Angebot ange-
nommen. Er verstand es inzwischen besser: Es wäre keine
große Sache gewesen. Sie hatte das expansive Wesen des
Westens, und Ed war ein emotional verklemmter Nerd aus
der Bronx, wo Taktik und Verschwiegenheit einer Gangs-
terkultur die Straßen beherrschten. Mehr zu

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