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Landleben

Landleben

Titel: Landleben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Updike
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wissen, als er
sagte, das gehörte zu Eds Code, hier in Middle Falls, wo
das beliebteste Spiel der Klatsch war; irgendwie wusste er
von Owen und Alissa und dem Baby, aber er würde das
Geheimnis für sich behalten.
    Phyllis, nach drei Gläsern Weißwein, wollte das Baby         halten. Um ihrer Verachtung dieses christlichsten aller
Feiertage Ausdruck zu geben, hatte sie sich enge Blue-
jeans angezogen und trug dazu kleine Perlenohrringe und
ein gestreiftes Männeroberhemd, dessen Manschetten
sie zurückgeschlagen hatte, als wollte sie die Schweizer
Tausend-Dollar-Uhr, die Owen ihr zu ihrem fünfzehnten
Hochzeitstag geschenkt hatte, vorzeigen. «Es ist so lange
her», erklärte sie, beugte ihren langen, schmalhüftigen
Körper durch die Streifen Sonnenlichts auf der Terrasse
und hob rasch das kleine, in Decken gehüllte Bündel aus
der Tragetasche. Alissa konnte ihre Besorgnis nicht ver-
hehlen – ihre Brille blitzte –, und sie stand von ihrem Stuhl
auf und wollte schon eingreifen, doch Phyllis schenkte der
Mutter ein huldvolles, beruhigendes Lächeln. «Ich habe
das mit dem Kopf noch nicht vergessen», sagte sie und de-
monstrierte, wie sie den Kopf mit der linken Hand stützte.
«Wie heiß die Schädel der Kleinen sind!», sagte sie und
sah den Säugling aufmerksam an, als suchte sie eine Be-
deutung, die Lösung eines Rätsels in dem blicklosen Star-
ren aus weiten Augen. «Oh, Alissa», wandte Phyllis sich
mit der leisen, aber irgendwie bestimmenden Stimme an
sie, die zu hören Owen sich einst so bemüht hatte, «sie
ist wirklich herzig. Owen», fuhr sie fort und suchte sein
Gesicht in der versammelten, verstummten Gruppe, «wir
müssen unbedingt noch eins bekommen, bevor es zu spät
ist.»
    «Wir werden das besprechen», sagte er und war verwun-
dert, als diese behelfsmäßige Antwort unter seinen Freun-
den Gelächter auslöste.
    Mit ihrer unheimlichen, schlafwandlerischen Aneig-
nung des Kindes hatte Phyllis eine gespannte Atmosphäre
geschaffen. Nur das Baby bemerkte nichts davon. Seine          blauen Augen, dunkler als das ausgelaugte Blau der Augen
der Mutter, hatten sich geschlossen. «Süße kleine Nina»,
sagte Phyllis zu ihr. «Du bist vollkommen. Du bist wun-
derschön.» Sie küsste die vorgewölbte rote Stirn, über die
in Wellen ein Stirnrunzeln zog, und sah auf die Frauen, die
am nächsten bei ihr standen. «Wer will die Nächste sein?»,
fragte Phyllis in wohlwollendem Ton, und rasch streckten
sich mehrere Paar Hände aus, die den kleinen Schatz Nina
lange halten wollten.
    In dem roten Stingray auf dem Weg nach Hause fasste
Owen Mut, ihr zu sagen: «Ich weiß nicht, ob Alissa darauf
gefasst war, dass du ihr Baby einfach so genommen hast.»
    «Sie mochte es», sagte Phyllis. «Alle Frauen möchten,
dass man ihre Kinder bewundert. Alissa wäre verletzt ge-
wesen, hätten wir sie nicht inständig gebeten, es – sie – hal-
ten zu dürfen.»
    «Das mit dem Darum-Bitten hab ich nicht bemerkt.
Eh – ich nehme an, das mit noch einem Kind war ein Witz.
Eve wird bald sieben, und sie ist ihr Leben lang die Jüngs-
te gewesen. Willst du wirklich wieder von vorn anfangen,
mit den Windeln und dem Aufstehen nachts und so?»
    «Nur wenn es uns mehr zusammenbringt.»
    «Wie könnten wir näher beieinander sein? Mein Gott,
wir sind praktisch aneinander geschmiedet.»
    Einen Moment lang schwieg sie, dann sagte sie: «Natür-
lich war das ein Witz, Owen. Du musst verrückt sein, wenn
du denkst, ich will mit dir noch ein Kind haben.»
    Das war entschiedener, als er es gewollt hatte – am ent-
gegengesetzten Ende der Kurve, nach ihrem tranceartigen
Verhalten bei der Party. Es wurde immer schwerer für ihn,
die wahre Phyllis zu orten. Er sagte, weil er das Schweigen
im Auto noch weniger ertrug als sie: «Ich dachte, jetzt, wo           auch Eve den größten Teil des Tages über aus dem Haus
ist, könntest du wieder beispielsweise ans Trinity gehen
oder sogar nach Yale und dort ein, zwei Kurse absolvieren.
Irgendwas zum Auffrischen, damit du deine Doktorarbeit
wieder in Angriff nehmen kannst.»
    «Oder ich könnte die Ballettstunden wieder aufnehmen,
die ich schon mit elf aufgegeben habe», sagte sie in einem
so heiter-gelassenen Ton, dass er im ersten Moment nicht
merkte, wie ironisch sie es meinte.
     
    In Haskells Crossing, im einundzwanzigsten Jahrhundert,
schneiden die Reichen an Ostern gut ab. Sie besuchen die
Kirche, ebenso an Weihnachten, auch wenn niemals sonst,
als wollten

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