Landleben
sie den übernatürlichen Vertrag aufrechterhal-
ten, durch den sie zu Wohlstand gekommen sind. Die epis-
kopalische Kirche ist die Kirche ihrer Wahl, dreieinhalb
Jahrhunderte nachdem die Puritaner ihre eiserne theo-
kratische Herrschaft etablierten. Sie waren Fanatiker; die
Vereinigten Staaten sind ein konservatives, auf Radikalis-
mus errichtetes Land. In vielen Städten Neuenglands sind
die weißen hölzernen Kirchen der Kongregationalisten im
Verfall begriffen – die Farbe blättert ab, die Türme sind
morsch und drohen einzustürzen, die Anzeigen tafeln drau-
ßen kündigen Predigten mit spaßigen Titeln an wie «Mir
geht’s gut, Gott geht es auch gut» oder «Aus verbotenen
Früchten kann man viele Marmeladen machen» –, anders
als die spitzgiebligen, halb gezimmerten Gebäude, die
Cranmers anmutigen Worten und den königlichen Launen
Heinrichs VIII. gewidmet sind.
Obwohl Owen, dank der Teilung und des Verkaufs von
E-O Data in den siebziger Jahren, selber ziemlich reich
war, betrachtete er die Reichen, die ihren Reichtum geerbt hatten, als einen exotischen Stamm. Er war der Meinung,
dass die reichen Besitzer der Fabriken von Alton seinen
Vater unterdrückt und seinen Großvater betrogen hatten.
Manche der großen, in der Textilindustrie entstandenen
Vermögen hatten, in Willow, etwas von dem mythischen
Klang der Mellons, Fricks und Carnegies in Pittsburgh
gehabt. Doch auch wenn er sich auf die Zehenspitzen
stellte, um über die mit Zacken gespickte Sandstein-
mauer des Besitzes der Pomeroys am Cedar Top blicken
zu können, und das ferne Plätschern des Swimmingpools
hörte, waren diese fabelhaften Wesen ihm niemals zu Ge-
sicht gekommen. Im Scheherazade – einem fensterlosen
Saal mit schräg nach unten führendem Fußboden, einer
Außenverkleidung aus Blechplatten, so gestanzt, dass sie
halb wie Ziegelsteine aussahen, einem Tnnenraum, der
mit ein paar chinesischen Lampions und ein paar Art-
deco-Streifen dekoriert war, einem Kassenhäuschen au-
ßen, in dem die grauhaarige Frau des Besitzers saß, und
einem Vordach, dessen Lichter im Sommer Massen von
Nachtfaltern anzogen – wurden die Reichen, gespielt von
Gary Grant und Fred Astaire, Joan Blondel und Katharine
Hepburn, Charles Coburn und Eugene Palette, in einem
freundlichen, silbrigen Licht gezeigt, als Stars in einer Ko-
mödie der Missverständnisse, die sich am Schluss mittels
sexueller Anziehung und grenzenloser Reserven milde
besteuerten Geldes auflösten. Welch ein Triumph kapita-
listischer Kunst, die den Hass der Armen auf die Reichen
in schmunzelndes Mitleid für sie umzulenken vermochte!
Im Handumdrehen konnte das Glück wechseln, und die
Armen waren vielleicht selbst reich, und ebenso töricht
und glücklich. Für die Moguln, die diese Filme herstell-
ten, war das natürlich keine Träumerei. Sie hatten es in Amerika zu Reichtum gebracht. In geringerem Ausmaß
traf das auch auf Owen zu.
Jetzt kann er dreidimensional und in natürlichen Far-
ben bei dem Zehn-Uhr-Ostergottesdienst in St. Barnabas
in Haskells Crossing den Wainthrop-Clan betrachten, der
die beiden vordersten Bänke einnimmt. Die achtzigjähri-
ge Matriarchin, seit langem Witwe, thront in einem Roll-
stuhl, der den Mittelgang halb blockiert; Kirchgänger, die
zum Abendmahl an das Gitter treten, gehen um sie her-
um. Vor Beginn des Gottesdienstes schlängeln oder drü-
cken sich ihre Enkelsöhne, jeder im Blazer, mit gewirkter
Krawatte und feinem Button-down-Oberhemd, der Reihe
nach an den Alteren vorbei, um dieser Ältesten mit ihrem
starren blauen Haar und dem schwarzen Sommerstrohhut
Ehre zu erweisen – mit einem seitlich unter der breiten
Krempe vorbei geschmuggelten Kuss. Kein Pascha, kein
Mafia-Boss könnte beflissene Gunstbezeigungen wür-
devoller entgegennehmen. Owen stellt sich all das Geld
vor, das durch den lebendigen Körper der Achtzigjähri-
gen festgehalten wird, wie Tonnen von Weizen, die darauf
warten, aus der Schütte eines Getreidehebers zu fließen,
unterdessen tröpfelt auch so genug: Die Jungen mit den
Blazern haben die honigbraune Tönung, wie man sie in
den Winterferien auf den Bahamas oder beim Skifahren
erwirbt, und die Mädchen, auch die im schwierigen Alter,
mit Zahnspange und Akne, tragen teure Kleider zur Schau
sowie belebende Hoffnungen auf gute Schulen und einen
guten Wert auf dem Heiratsmarkt. Reich sein heißt ge-
sund sein.
Ihre Eltern, die mittlere Generation, lassen die Lesun-
gen, die Gebete der Gemeinde und die Predigt (Ja, er
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