Landleben
einziges Wort gegen sie zu sa-
gen.» Phyllis übermittelte Owen Fragmente wie dieses, als
könnten solche Gehässigkeiten, die ihm einst wie Musik
gewesen waren, ein Initiationsgemurmel, ihn zurückholen.
Es stimmte zwar, er wachte morgens in seinem schäbigen
Zimmer auf – die Gerüche von den Kochplatten anderer
Leute und das Jammern vaterloser Kinder drangen durch
die Wände –, mit dem gleichen nagenden Heimwehgefühl
im Magen wie einst als junger Student am MIT, ein Ge-
fühl, das die unerbittlichen Gesetze des Wachsens und des
Alterns in den Raum hängten. Doch damals hatte er, wie
jetzt, eine Aufgabe gehabt: damals die Aufgabe, auszuhal-
ten, nicht wieder nach Pennsylvania zu gehen, sondern sein
Studium abzuschließen und einen Beruf zu ergreifen und,
wie sich die Dinge entwickelten, das biegsame Mädchen
zu erobern, das er in den Korridoren erspäht hatte. Jetzt
war seine Aufgabe, wie damals, nicht nur egoistisch, und sie hatte mit Phyllis zu tun; er wollte sie von sich befrei-
en, und umgekehrt sich von ihr. Aus ihrem gemeinsamen
Leben, so hatte Julia es ihm erklärt, war eine gegenseitige
Erniedrigung geworden. Wenn er bei ihr blieb, tat er ihr
keinen Gefallen. Das ergab einen Sinn, vermutete er, für
Menschen, die aufgrund ihrer eingefleischten Rechtschaf-
fenheit hohe Ansprüche stellten, doch es Heß die Bitte um
Barmherzigkeit, die zur Menschlichkeit gehörte, außer
Acht. Er und Phyllis teilten eine Tendenz der fünfziger
Jahre, eine schwebende Sorglosigkeit. Zwischen ihnen hat-
te es, so empfand er, von Anfang etwas Trennendes gege-
ben. Er war ehrgeizig gewesen und unausgegoren und hat-
te sie benutzt. Jetzt wollte er die Anmaßung, mit der er die
Prinzessin geraubt hatte, rückgängig machen; er wollte ihr
Zeit geben, damit sie seine Sicht der Dinge teilte und ihm
half, sich von ihm scheiden zu lassen – sodass es auch ihre
Idee wurde, so wie ihre Ehe irgendwie ihre Idee gewesen
war. Zumindest hatte sie eingewilligt, zu einem Anwalt in
Hartford zu gehen, einem kleinen geschniegelten Schnell-
sprecher, den sie amüsant fand – sowohl Roscoe Bisbee als
auch Henry Slade hatten ihn empfohlen. Er hieß Jerry Hal-
loran und sprach zu ihr in der mathematischen Sprache von
Dollar und Cent.
In dieser Zeit des Aufschubs erfanden Owens Kinder
eine Form des Protests, eine auf Autos bezogene Karika-
tur gestörten Erwachsenenverhaltens. Floyd, gerade sech-
zehn geworden und frisch mit einem Führerschein ausge-
stattet, fuhr mit dem Volvo-Kombi seiner Mutter auf die
Partbridgeberry Road, wo er vor einem Pick-up, der einen
Pferdetransportwagen zog, in seiner Unerfahrenheit zu
weit nach rechts auswich und den Volvo in einen Graben
voller Schnee setzte. Der Wagen kippte bei beträchtlicher Geschwindigkeit gegen eine Mauer. Der Junge war un-
verletzt, aber der Volvo war ein Totalschaden. Mit dem
Versicherungsgeld kauften sich die Mackenzies einen ge-
brauchten Ford-Falcon-Kombi, der zwar seinen Zweck er-
füllte, aber nicht so gut auf der Straße lag wie der solide
schwedische Import.
Gregory, der in den Frühjahrsferien von der Brown Uni-
versity nach Hause kam, erbat sich die Corvette Stingray
seines Vaters für eine Verabredung mit einem Mädchen,
das er beeindrucken wollte, was er mit dem Falcon, der
«alten Blechmühle», nicht erreichen könne. Obwohl der
fordernde Ton seines Sohnes ihm nicht gefiel und Owen
sein lippenstiftrotes Cabrio trotz dessen Alter als kostbares
Stück betrachtete, wollte er seiner Schuldgefühle wegen
dem Jungen die Bitte nicht abschlagen. Um ein Uhr früh
wurde er durch einen hysterischen Anruf von Phyllis ge-
weckt. Auf der Nebenstraße, die vom jenseitigen Ufer des
Heron Pond wegführte, wo es eine bekannte Knutsch- und
Fummelstelle gab – auch er und Faye hatten sich in ihrer
Unschuld dorthin begeben –, war der Stingray irgendwie
von der Straße abgekommen und hatte vier oder fünf Pfos-
ten der Leitplanke mitgenommen, bevor er zum Halten
kam. Der Motor war halb auf den Vordersitz gedrückt wor-
den, doch weder Gregory noch seine Beifahrerin waren ver-
letzt worden. Gregory nahm mannhaft die Schuld auf sich,
er sagte, er habe versucht, das ihm nicht vertraute Radio
einzustellen, gestand aber seinem Bruder, der es wiederum
seiner Mutter anvertraute, die es Owen erzählte, dass in
Wirklichkeit das Mädchen, eine wilde Biene von der Eas-
tern Connecticut State University, am Steuer gesessen oder
zumindest, eng an Gregory gepresst, die Hände am
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