Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
Schild „Parken und Durchfahrt verboten“. Der Autofahrer schaut sich ratlos um. Das Schild weist auf ein Dickicht aus Brombeergestrüpp. Die nächsten Häuser sind gut 200 Meter entfernt. Ein Insider bringt Aufklärung. In dem Gestrüpp befindet sich ein alter Weg, der nach fünf Metern vor einer Felswand endet. Er gehört einem Paar, das seine Nachbarn wegen abstruser Reibereien nicht lieb hat. Kaum hatten sie beobachtet, dass es ein Gast der Feinde wagte, vor dem Gestrüpp zu parken, wurde das Schild gebastelt. Nicht dass die Schildaufsteller den Platz zum Abstellen eigener Fahrzeuge brauchen. Direkt neben ihrem eigenen Haus haben mindestens sechs Autos Platz.
Nicht weit entfernt wohnt ein verkappter Geheimagent. Kaum kehrt er von seinem Zweitwohnsitz aus Deutschland zurück, beschuldigt er jeden Spaziergänger des Rowdytums oder Diebstahls. Der eine hat Kirschen probiert, der andere einen Pilz geerntet, der dritte einen abgebrochenen Zweig auf sein Gelände geworfen. Alles kann er Hieb und stichfest beweisen. Der traurige Mann hat tatsächlich eine Webcam installiert und kontrolliert sein fernes Grundstück vor dem heimischen PC. Was macht er bloß mit dem Hasen, der illegal bei ihm übernachtet hat? Oder dem Reh, das an frischen Ästen geknabbert hat?
Die Welt im Wald dreht sich um sich selbst.
Natürlich kennt man Bäcker, Metzger und Mechaniker aus dem Dorf. Man duzt sogar alle, was Nähe und Verbundenheit ausdrückt. Frage ich nach einem Zahnarzt, heißt es: „Du, da musst Du zum Roberto.“ Erst auf Nachfrage erfahre ich, dass Roberto in Massa Marittima seine Praxis hat. Wo? „Gleich hinter dem Stadttor.“ Davon gibt‘s drei.
Und so geht‘s weiter. Im Umkreis von 20 Kilometern - wo auch immer - muss ich Eier bei Alberto kaufen, finde ich einen Granatapfelbaum bei Silvio, esse ich am besten bei Nada oder muss unbedingt den Pecorino bei Antoniella probieren.
Zuerst war ich sehr beeindruckt, wie viele Freunde alle haben, bis ich feststellte, dass ich oft in ganz normalen Geschäften, Gärtnereien oder Restaurants landete, wo niemand den Hans und die Elisabeth, den Rudi oder die Karin kannte. Erst langsam begriff ich, dass nur wenige italienische Freunde haben. Die seltsamen Vögel aus dem Wald werden meist nur bestaunt, aber nicht eingeladen. Viele Freaks stört wiederum, dass ausgerechnet die Menschen, deren altes Leben sie leben, sie für meschugge halten. Die wollen nicht mehr darüber reden, wie man Sauerteig ansetzt, Oliven in Asche einlegt oder Möbel selbst schreinert. Ihre Themen sind die Klimaanlage fürs Schafzimmer, das neue cognacfarbene Ledersofa und das Sonderangebot für eingelegte Oliven. Manche mögliche Freundschaft scheitert auch schlicht an mangelnden Italienischkenntnissen - missglückte Integration. auch nach 30 Jahren.
Bleiben also nur die anderen Waldmenschen. Man kennt sich, man trifft sich. Aber wirkliche Freunde zu finden, ist nicht so einfach. Wer hier ständig lebt, ist ein bisschen kompliziert, ein wenig kauzig und nicht immer gesellig. Hinzu kommt der begrenzte Gesprächsstoff. Die Lebensgeschichten sind irgendwann erzählt, die Brotrezepte ausgetauscht und die Klage über zu viel Trockenheit oder zu viel Regen für die Oliven langweilen irgendwann auch die Hartgesottensten. Politik, ob italienische oder deutsche, ist immer doof. Über Bücher kann man kaum streiten, da der eine nur Autobiographien, der andere nur historische Romane liest und der dritte nur liest, um alle Bücher blöd zu finden.
Spaß macht da nur der Wald-Klatsch. Wer hat wen verlassen? Wer hat ein hässliches Bett gekauft? Bei wem hat der Vagabund eingebrochen und sich Spaghetti gekocht?
Diese Geschichten sind so schön, dass es keine Rolle spielt, ob man sie schon oft gehört hat und sie Jahre zurückliegen.
Für neuen Stoff, aus dem schöne Geschichten sind, sorgen Waldmenschen, die hier wohnen, aber gelegentlich noch in der alten Welt arbeiten. Da ist der Kameramann Peter, der von aufregenden Dreharbeiten für einen James-Bond-Film erzählt. Oder wie er selbst außen an einem Hubschrauber hing, um spektakuläre Bilder für eine beliebte Rettungsflieger-Serie einzufangen. Ein Kollege und Nachbar von ihm ist auf Fernsehkrimis spezialisiert. Ein Regisseur, der in einem alten Zirkuswagen haust, hat gerade in Washington den „Ring der Nibelungen“ inszeniert und ein Historiker hat ein Buch über das bewegte 2100 Jahre lange Leben der Venus von Milo
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