Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
also zwei gegen zwei – gelang es, die Viecher wenigstens 30 Meter weiter zu treiben. Dort blieben sie und murrten nun laut über die egoistischen Leute, die ihre Pflanzen verteidigen. Ja, ich bilde mir inzwischen ein, ganz gut wildschweinisch zu verstehen. Mit dem Sprechen hapert es noch. Die richtigen Nuancen der Grunztöne zu treffen, ist recht schwierig.
Bei Moni und Jürgen haben die lieben Tierchen vor ein paar Wochen alle Zinkwannen mit Tomaten, Salat und Petersilie umgeschmissen und das Gemüse vertilgt. Das gehört sich doch nicht. Da kauft man Pflänzchen, päppelt sie, gießt sie Tag für Tag, kann stolz sagen, dass man bis zur Erntezeit mehr als den dreifachen Marktpreis investiert hat – bei den Bauern kostet das Kilo Tomaten allenfalls 60 Cent, oft noch viel weniger - und dann werden die eigenen Kostbarkeiten so schnöde zerstört.
Aber Stadtmenschen fehlt wohl das Gen, sich an der Natur zu begeistern. Sie bestellen einen Tomatensalat und befinden, ob die Tomaten gut oder nach gar nichts schmecken. Basta. Dass es ein Glücksgefühl ist, ihnen beim Wachsen zu zuschauen, ist für sie nur esoterischer Blödsinn. Schade.
Na ja, wir beobachten diese Veränderung an uns auch eher mit gemischten Gefühlen. Wollen wir wirklich zu hundertprozentigen Landmenschen mutieren?
Derzeit wachsen uns Zucchini statt Haaren. Nicht nur das. Längst haben wir „Zucchino“ zum Unwort des Jahres erklärt. Jeden, und damit meine ich jeden, Morgen steht auf unserer Terrasse ein Korb voll mit Zucchini, die Camillo um sechs Uhr für uns in seinem Garten geerntet hat.
Anna und Camillo sind unsere direkten Nachbarn, ihr Haus ist nur ein paar hundert Meter entfernt. Sie kommen aus dem Norden Italiens, wo er im Winter als Gutachter bei Brandschäden arbeitet und sie rund um die Uhr als zauberhafte Großmutter für zwei verwöhnte Enkelkinder im Einsatz ist. Von April bis Oktober müssen Söhne und Schwiegertöchter ohne ihre Dienste auskommen. Da das zu lang ist, machen sie im August mit Freunden vier Wochen Ferien hier, am Meer, in Follonica. Und was macht Anna? Sie kocht und kocht. Jeden Tag ein Vier-Gänge-Menü für acht Leute, verpackt alles und bringt es den gestressten Kindern in die Ferienwohnung. So findet jeder seine Bestimmung.
Camillo, der stolz seinen kugelrunden Bauch vor sich her trägt, ist auch mit über 70 Jahren ein hervorragender Tennislehrer. Seit 30 Jahren unterrichtet er, kostenlos, die Kinder des Dorfes. Mit Erfolg. Die Mannschaft aus Prata ist bei Turnieren gefürchtet. Es gibt wohl nicht viele Dörfer, mit weniger als 600 Einwohnern, die einen Tennisplatz haben und in denen jeder, der jünger als 40 ist, Tennis spielen kann. In Prata ist das so.
Prata liegt trutzig auf einem Hügel und kann stolz auf seine fast 1000jährige Geschichte verweisen. Zuvor gab es wohl nur ein paar Etrusker, wie die Reste eines Grabes beweisen. Bedeutend wurde der Ort im Mittelalter, als deutsche Feudalherren im Gefolge von Otto III., ist für uns Ausgewilderte ein wenig peinlich, in die Toskana kamen und in Prata ein Kastell bauten. Bald fanden die Herrscher von Siena ihr Reich zu klein und dachten an einen eigenen Meerzugang. Dumm nur, dass ihnen Prata, das die Hauptstraße zum ersehnten Meer kontrollierte, im Weg war. Erst nach vier Jahren Belagerung und eines zermürbenden Guerillakampfes mussten sich die tapferen Pratigiani ergeben. 200 Jahre und einige Aufstände später, genau gesagt 1489, verloren die Sienesi die Lust an dem strategisch wichtigen Borgo und überließen es samt Umland ihrem kirchlichen Krankenhaus „Santa Maria della Scala“. Die Mönche, nicht ohne Geschäftssinn, nutzten das Gelände zur Viehzucht und bestimmten für fast 300 Jahre das wirtschaftliche Leben. Gen Ende des 18. Jahrhunderts ging die Republik Siena endgültig unter und Prata gehörte fortan dem Großfürsten der Toskana. Dieser Pietro Leopoldo war quasi ein Linker, der eine Zerstückelung großer Besitzungen anordnete und auch das Krankenhaus zum Verkauf seiner Weiden und Wälder zwang. Zugleich führte der Großfürst eine Gebietsreform durch und schlug Prata der Kommune Massa Marittima zu.
Wenige Jahre später mussten die Pratigiani wieder zu den Waffen greifen. Die Franzosen eroberten das Dörfchen. Aber nur für drei Tage, vom 10. bis 13. März 1801.
Dann war Schluss mit der Fremdherrschaft.
Zugegeben, Prata ist nicht gerade eine Touristenattraktion. Dabei hat es einen Dorfkern aus dem 12.
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