Landlust für Anfänger: Erlebnisse einer Ausgewilderten in der Toskana
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Auch Ferienhausbesitzer, die langweilige Berufe wie Arzt oder Lehrer, Anwalt oder Controller haben, sind als Lieferanten guter Gesprächsstoffe willkommen. Ein bisschen geben ihre beruflichen Erlebnisse und Konflikte mit der Verwandtschaft her. Doch richtig herrlich zum Gruseln ist ihr Alltag in der anderen Welt, die man selbst verlassen hat. Da ist von überfüllten U-Bahnen und kilometerlangen Staus die Rede, von ausverkauften Fußballstadien mit grölenden Fans und Mega-Kinos, von Mobbing im Büro und Ärger mit dem Finanzamt.
Hier grölt niemand. Hier spricht man von Verkehrschaos, wenn einem auf zehn Kilometern sechs Autos begegnen. Hier wird niemand - na sagen wir mal, nur selten - gemobbt.
Ja, nach diesen Geschichten ist der wahre Freak süchtig. Helfen sie doch, sich immer wieder zu bestätigen, alles richtig gemacht zu haben.
Da ist man gerne stets pleite. Geht gerne putzen. Malt gerne die Wände der gut verdienenden Waldbewohner an. Gießt gerne ihre Gärten.
Einziger wunder Punkt bleibt bei manchen eigene Altersarmut in einem Umfeld von mit dem Alter wachsenden Gemisch aus Freizeit und Wohlstand. Eines Tages verkünden diese unverbesserlichen Karrieristen, die nie den Mut hatten, ihr Hamsterrad zu verlassen: Wir sind jetzt Rentner. Da bleiben sie plötzlich, so lange die Toskana sonnig ist, genießen das Nichtstun, ihre Pensionen und ausbezahlten Lebensversicherungen. Und man selbst, der Vorsorge immer spießig fand, gießt weiter die Gärten - nun nicht mehr so gerne - und malt die Wände der Nichtstuer an.
Einziges Kapital ist meist das eigene Haus, das seinen Wert in 30 Jahren verzehnfacht hat. Doch der Verkauf würde das Ende des Aussteigerlebens bedeuten. Und wohin dann? Eine Etagenwohnung zur Miete setzt der Waldmensch mit einem Gefängnis gleich.
Eine kleine Karriere hier zu machen gelingt nur wenigen. Sie vermieten erfolgreich ein oder zwei Ferienwohnungen in ihrem Waldhaus, töpfern wunderbares Geschirr und verkaufen es auf Märkten oder im eigenen kleine Geschäft, exportieren italienische Spezialitäten nach Deutschland oder verkaufen ihr eigenes Olivenöl.
Ein gut gehendes Business hat Achim aus Lüneburg aufgebaut. Erst schreinerte der schlaksige Typ mit Dreitagebart neue Fenster und Türen, Tische und Stühle, die perfekt in die Illusion vom alten Bauernhaus passten. Dann sattelte er um zum Bauleiter für betuchte Käufer mit weniger Phantasie und Zeit und plante und überwachte die Verwandlung von Ruinen zu einigen der schönsten Häuser der Region.
Per Zufall und dank seiner Kontakte zu den vielen Filmleuten, die hier ihr Domizil haben, wurde er außerdem ein gefragter Location-Scout. Ein Anruf und ein paar Mails von Regisseuren genügen und Achim findet genau das Dorf mit steilen Kopfstein gepflasterten Gassen für eine Verfolgungsjagd oder die perfekte Wiese mit blühendem Mohn zwischen knorrigen Oliven für einen Liebesfilm. Gefragt ist auch das urige Lokal, in dem italienische Statisten begeistert der rundlichen Großmutter mit Kringellöckchen und weißer Schürze für die leckerste Nudelsauce der Welt danken - die nun als Massenprodukt eines Massenherstellers in Europas Supermarktregalen steht.
Achim, weißhaarig und Anfang 50, reist auf der Suche nach neuen Drehorten kreuz und quer durchs Land und bietet seine Dienste als Rundum-Sorglos-Paket an. Dazu gehören das Einholen von Drehgenehmigungen, die Erlaubnis, Straßen zu sperren und das Engagieren von Models und Statisten.
Ja, Achim hat Erfolg. In einem ganz normalen Job mit Stress und Ärger. Nur eben in Italien.
Das will der wahre Aussteiger gar nicht.
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Grunzen am Aben d kann einen ganz schön fertig machen.
Gestern Abend, so gegen 22 Uhr, ließ ich mich im Liegestuhl nieder, um auf die Lichter von Elba zu schauen und dem Konzert der Grillen zu lauschen.
Plötzlich rumpelt es schräg hinter mir. Ich drehe mich um und sehe wie zwei große Wildschweine gemächlich das Treppchen vom oberen Garten runterkommen und auf die Kiesterrasse, auf der ich friedlich liege, schreiten – soweit Wildschweine schreiten können.
Die Riesenbiester waren ganz entspannt. Das heißt, sie blieben stehen und hörten sich interessiert mein Gebrüll an: „Haut ab! Weg mit euch!“ Was man eben so Intelligentes schreit, wenn man seine Angst nicht zeigen will. Erst zu zweit –
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