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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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erfüllt hatten und darum viel weniger Saatgut erhielten, als sie brauchten. Beide unterschrieben den Antrag auf Aufnahme in die Genossenschaft, und Vater betrank sich an jenem Abend vor Verzweiflung, wie mir Mutter erzählte. Vater war nicht freiwillig beigetreten, ihm blieb nichts weiter übrig, meinte er, doch seitdem hatten sie einen geregelten Arbeitstag und, wenn nicht gerade Erntezeit war, sogar einen völlig freien Sonntag. Das hatten sie früher nie, und die beiden sind im Jahr darauf sogar zum ersten Mal in ihrem Leben in den Urlaub gefahren. Vater schimpfte zeitlebens auf die Genossenschaft, obwohl es ihm eigentlich viel besser ging. Mutter war für die Feldwirtschaft eingeteilt, und Vater hatte erreicht, dass er in die Rinderställe kam und nicht den ganzen Tag Trecker fahren musste, was er mit seinem kaputten Rücken nicht konnte. Als ich sie einmal besuchte, sagte ich ihnen, dass sie zufrieden sein müssten, doch davon wollte Vater nichts hören. Der Acker war nicht mehr sein Land, und das ärgerte ihn. Und das konnte auch nicht der Fernseher wettmachen, vor dem sie Abend für Abend saßen, bis ihnen die Augen zufielen.
    In der achten Klasse besorgte ich mir ganz allein eine Lehrstelle und ein Zimmer in Guldenberg. Ich bekam nur etwas in einer Gärtnerei, weil ich nicht so gute Noten in der Schule hatte. Gärtnerin wollte ich eigentlich nicht werden, denn vom Wühlen in der Erde hatte ich die Nase voll, und Blumen zu binden, das war nicht mein Traum, doch um von Spora wegzukommen, hätte ich sogar Verkäuferin gelernt, was mir auch angeboten wurde und was nun wirklich das Letzte ist. Das Zimmer bekam ich von einer Kriegswitwe, die mit ihrem Sohn in einem kleinen Haus in der Gartenstraße wohnte. Als ich meinen Eltern erzählte, was ich im September machen wollte, waren sie völlig fassungslos undschickten mich aus dem Zimmer, weil sie sich beraten müssten. Dann erklärte mir Vater, dass ich zu jung bin, um allein in einer fremden Stadt zu leben, und sagte, er wird mir eine richtige Lehrstelle besorgen, bei der ich weiterhin zu Hause leben kann. Ich heulte, und der Abend endete damit, dass Mutter mir eine wischte und mich ins Bett schickte. Was Vater mir in den folgenden Wochen für Lehrstellen anbieten konnte, war nicht überraschend, es war immer etwas mit Viehzucht und Ackerbau, und die Ausbildung als Köchin sollte in der Küche der Genossenschaft erfolgen, wo man allenfalls lernen konnte, riesige Pfannen zu scheuern und mit einem Holz in meterhohen Töpfen herumzurühren, in die man zuvor das Salz schaufelweise hineingeschüttet hatte. Diese Arbeit kannte ich von Rieke, die dort beschäftigt war und jeden Abend Kreuzschmerzen hatte vom Schleppen der schweren Töpfe. Na, schön ist anders.
    Dann hatte der Himmel ein Einsehen, und es war wohl wirklich eine Himmelsmacht, denn meine Schwester verliebte sich in einen Tischler, der ausgerechnet aus Guldenberg stammte und bei uns in Spora arbeitete. Bernhard war ein Jahr älter als Rieke. Er war kräftig gebaut, aber nur so groß wie ich, und er redete wenig. Ich hatte sofort gemerkt, dass Rieke einen Freund hat. Wenn Mutter darüber klagte, dass Rieke noch immer keinen Verehrer gefunden hat, obwohl sie schon achtzehn war, und Vater genauso regelmäßig erwiderte, das Mädchen werde früh genug aus dem Haus gehen, und Mutter soll froh sein, eine Hilfe im Haus zu haben, dann grinste ich meine Schwester an, bis sie rot wurde.
    Als ich mitbekam, dass Rieke einen Freund hatte, und ich sie ausquetschte und erfuhr, dass er aus Guldenberg stammt, aus der Stadt, wohin ich gehen wollte, redete ich so lange auf sie ein, bis ich sie so weit hatte, mit mir nach Guldenberg zu gehen. Es war nicht schwer, sie zu überreden, denn sie liebte ihren Bernhard abgöttisch und wäre vor ihmden ganzen Tag auf den Knien gerutscht. So wie sie von ihm sprach und die Augen verdrehte, hätte man meinen können, er habe einen vergoldeten. Schwierig war es nur, ihr das Rückgrat zu stärken und sie dazu zu bringen, dass sie es Vater und Mutter sagt, denn wie ich Vaters Tochter war, so war sie Mutters Tochter, immer still und bescheiden und bemüht, nie aufzufallen. Wie Mutter wurde sie nie laut und verlangte nichts für sich, und wenn sie mal etwas außer der Reihe bekam, dann hatte ich ihr dabei geholfen. Rieke war eben ein Seelchen, was ja vielen Männern gefällt und besonders denjenigen, die im Leben nichts zu sagen haben und eine Frau brauchen, um mal ein ganzer Kerl zu

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