Landnahme
sein.
Vater hatte mir verboten, in Guldenberg eine Lehre zu machen, und suchte in Spora und Umgebung nach einer Lehrstelle für mich, als ich Rieke endlich so weit hatte, den Eltern zu sagen, dass sie nach Guldenberg ziehen wird, weil sie dort eine bessere Stelle gefunden hat in einer Gaststätte, dem Schwarzen Adler. Dagegen konnte Vater nichts sagen, denn Rieke war schließlich volljährig, und viel Geld bekam sie in der Genossenschaft nicht. Nachdem die Eltern diese Ankündigung verdaut hatten, schob ich gleich nach und sagte, dass ich mit Rieke zusammen wohnen könne, das ist billiger und wir können uns gegenseitig helfen und auf uns aufpassen. Es verging keine Woche, und ich hatte die Eltern so weit. Ab September würden wir zusammen in das Zimmer der Witwe ziehen, Rieke war dann jeden Abend bei ihrem Bernhard, und ich hatte endlich meine Freiheit und kam aus dem Kaff raus. Die Schule bekam ich mit Ach und Krach zu Ende. Dem alten Kossatz, dem Gärtner, war das egal, bei ihm sollte ich schließlich nicht die Buchhaltung machen oder den Kunden etwas von Atomen und Molekülen erzählen. Den Sommer über nahm mich Vater hart ran, ich musste ihm die ganze Zeit auf dem Feld helfen und konnte gerade mal für zehn Tage zelten fahren, aber das regte mich nicht auf, ich zählte die Tage bis zum Beginnmeiner Ausbildung in Guldenberg, und was auch Vater sagte und verlangte, ich war immerzu gut gelaunt.
Ich hatte Friederike eingeschärft, den Eltern nichts von Bernhard zu erzählen und schon gar nicht, dass er aus Guldenberg ist, und daheim verteidigte ich sie, so gut es ging, wenn sie zu ihrem Freund gehen wollte, und deckte sie, wenn sie erst spät nach Hause kam oder am Wochenende angeblich zu ihrer Freundin fuhr. Die größte Gefahr war immer Rieke selber, weil sie nicht lügen konnte und am liebsten zu Mutter gerannt wäre, um ihr alles zu erzählen, und ich musste ihr rund um die Uhr eintrichtern, dass sie ihren Mund halten soll, um nicht unseren Auszug zu gefährden. Als dann Bernhard bei meinen Eltern erschien und er das Wörtchen Guldenberg fallen ließ, wackelte mein schöner Plan heftig, doch jetzt war es zu spät für Vater, um meinen Weggang zu verhindern.
Als Bernhard das erste Mal zu uns nach Hause kam, waren die beiden schon ein Vierteljahr zusammen. Ich kannte ihn längst, aber die Eltern hatten ihn noch nie gesehen und wollten tausend Sachen von ihm wissen, und Vater brachte es fertig, ihn beim ersten Besuch in den Stall zu führen, um ihm eine Futterkrippe zu zeigen, die erneuert werden musste, was Bernhard versprach. Als sie Bernhard fragten, woher er kommt, und er ihnen seine Heimatstadt nannte, sahen sich meine Eltern vielsagend an und verstummten. Kaum hatte Bernhard das Haus verlassen, brüllte Vater Rieke und mich an.
»Und das alles hinter meinem Rücken«, schrie er. Dann wandte er sich an Mutter und fragte drohend: »Oder hast du das gewusst?«
Mutter beteuerte, dass sie nichts von Bernhard und seinem Guldenberg gewusst und dass man auch sie hintergangen hatte. Dann wurden wir beide in den Stall geschickt, um Rüben zu zerkleinern, und am Abend sagte Vater zu uns, dass noch nicht das letzte Wort gesprochen ist, wasGuldenberg betreffe, und er sich alles gründlich überlegen will. Rieke bekam es natürlich gleich mit der Angst, wie immer, und ich musste sie beruhigen. Schließlich hatte ich meinen Vertrag als Gärtnerlehrling bereits unterschrieben und nicht zehn Pferde konnten mich davon abhalten, nach Guldenberg umzuziehen.
Vater und Mutter waren wütend, weil sie sich von uns reingelegt fühlten, was nicht ganz falsch war. Die Lehrstellen in Spora waren längst vergeben, der Vertrag unter Dach und Fach und eine Monatsmiete für das Zimmer hatten Rieke und ich der Witwe auf ihre Bitte hin bereits bezahlt. Die Eltern waren verärgert, Vater drohte, uns in Guldenberg von einem Bekannten kontrollieren zu lassen, und Rieke weinte und machte mir Vorwürfe, als wir allein in unserem Zimmer waren.
»Was denn?«, erwiderte ich, »du warst es doch, die unbedingt zu ihrem Bernhard wollte! Und nun hast du es geschafft. Du solltest mir dankbar sein.«
»Ja, aber doch nicht so. Nicht auf diese Art. Wir waren nicht ehrlich.«
»So? Na, und wenn schon. Hauptsache, es hat geklappt. Oder?«
Diese Rieke war ein Herzchen. Was sie auch wollte, sie wollte es immer auf eine Art, die allen gefiel, und auf die Tour bekommt man nie, was man wirklich will, sondern allein das, was die anderen entbehren können,
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