Landnahme
davon geträumt, reich zu heiraten, und der Hof war einer der besten in Spora, Großvater war der größte Großbauer. Und was hatte meine Mutter davon? Sie hatte gedacht, ab und zu mit ihrem Mann in die Stadt zu fahren, Kleider zu kaufen, zum Konditor zu gehen und abends zum Tanz eingeladen zu werden in einer schicken Nachtbar, doch Pustekuchen. Die guten Kleider von Mama stammten allesamt aus der Zeit vor ihrer Ehe.Neue brauchte sie nicht, nur Arbeitskleidung, Kittelschürzen und Schluppen kaufte sie sich einmal im Jahr, und das war alles. Lippenstifte und Parfüms gab es in unserem Haus nicht, die habe ich bei den Schulfreundinnen kennen gelernt, wenn ich von ihnen eingeladen wurde. Und mein erster Lippenstift stammte auch von einer Schulfreundin, den hatte ich ihr gestohlen. Nicht ein einziges Mal ging Mutter in eine Nachtbar tanzen. Die Tanzvergnügen, die sie hatte, das waren die beiden Dorffeste, die jedes Jahr stattfanden, am ersten Mai und das Erntefest. In der Dorfkneipe wurde getanzt, eine Stunde lang, denn dann waren die Männer besoffen und konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. Nein, eine Bäuerin wollte ich keinesfalls werden. Wenn ich einen Jungen kennen lernte, der mir gefiel, fragte ich gleich nach seinem Beruf, und wenn er oder seine Eltern einen Hof hatten, sagte ich nur, Danke für die Blumen, aber Kühe melken und Ziegen ausmisten, nicht mit mir. Der Junge konnte aussehen wie Gérard Philipe oder sogar wie Jean Gabin, bei dem ich ohnmächtig geworden wäre, wenn er mich angesprochen hätte, doch wenn er Viehzeug hatte und einen Hof, so war sein ganzes schönes Aussehen bei mir für die Katz. Dann konnte er eine Brust und Schultern wie ein Bulle haben, das war dann nichts für mich. Und nichts, das ist nur schön für die Augen.
Und als Großvater starb, wurde die Arbeit nicht weniger, Mutter wurde lediglich nicht mehr so viel rumkommandiert. Sie hat damals aufgeatmet und ganz offen darüber gesprochen, auch mit uns Kindern, dass sein Tod sie nicht allzu unglücklich macht und sie erleichtert ist, weil nun endlich Vater und sie Herr auf dem Gehöft Hollenbach sind, doch in Wahrheit veränderte sich nichts. Früh um fünf war die Nacht zu Ende, denn da musste das Vieh gefüttert werden, und dann ging es rund bis zum Abend. Um sechs gab es bei uns das Abendbrot, und wenn Mutter danach nicht gleich aufstand, den Tisch abräumte und mit uns Mädchenden Abwasch machte, konnte es passieren, dass sie am gedeckten Tisch einschlief.
Einen Fernseher hatten wir nicht. Wir sprachen Vater mehrmals daraufhin an, denn fast alle in der Klasse hatten Fernseher daheim. Vater sagte nur, auf dem Hof gibt es für alle reichlich zu sehen, da braucht man so eine dumme, teure Kiste nicht. Wir müssen uns nicht die Pferde, Kühe und Hühner im Fernsehen anschauen, bei uns ist das alles im Stall, da gibt es genug zu sehen und zu tun, und wir können dort ein volles Programm haben.
Meine Eltern sind nie in den Urlaub gefahren, dafür gab es keine Zeit, das Vieh erlaubte es nicht. Wir Kinder fuhren in das Schulferienlager, das war jedes Jahr am selben See. Wir wohnten für vierzehn Tage in Holzbaracken, machten Wanderungen und lagen an dem winzigen Strand in der Nähe unseres Lagers. Jedes Jahr gab es einen Schwimmkurs für alle, die nicht schwimmen konnten oder das Rückenschwimmen und Kraulen lernen wollten, und es gab eine Nachtwanderung und ein Abschiedsfest, doch nach dem vierten Jahr in dem Lager hatte ich es satt, immer dorthin zu fahren, und bettelte bei meinen Eltern, dass sie wie andere Familien einmal an die Ostsee fahren oder an den Balaton. Vater schüttelte den Kopf und sagte, was es alles noch für mich im Haus oder im Stall zu tun gibt. Die einzigen Vergnügungen daheim waren die Familienfeste, da sah man Jahr für Jahr dieselben Gesichter, und die Gespräche drehten sich immerzu um das Gleiche. An einem Sonntag habe ich einmal beim Frühstück zu Vater gesagt, er solle einmal mit Mutter etwas Schönes unternehmen, irgendetwas, vielleicht eine Fahrt ins Grüne. Vater hat Mutter bloß angeschaut und dann gesagt: »Aber, Kind, das mache ich jeden Tag. Jeden Tag geh ich mit Mutter Grünes machen fürs Vieh.« Und dann hat er herzlich gelacht, und Mutter hat gelächelt und mich angesehen, als sei ich nicht ganz bei Trost.
Das änderte sich erst, als ich schon zwei Jahre von zu Hause weg war und sie in die Genossenschaft gingen. Sie mussten es, weil der Hof überschuldet war und sie das Soll nicht
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