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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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bei mir frei bewegen, das gefiel den Männern und auch dem alten Kossatz. Friederike trug natürlich Büstenhalter. Ich habe ihr gesagt, dass man davon Hängebrüste bekommt, weil das Gewebe schlaff wird. Es ist wie mit einem Muskel, wenn man ihn nicht trainiert, wird er faul und fett. Rieke traute sich natürlich nicht, ohne ihre verwaschenen, rosafarbenen Ungetüme herumzulaufen, weil das keine macht und weil es aufreizend und unanständig ist. Na, jeder wie ihm schön. Der alte Kossatz hat sich jedenfalls nie darüber beklagt, dass meine kleinen Tittchen etwas von der Welt zu sehen bekamen. Mir gefiel es, und ihm gefiel es, und so kamen wir gut miteinander aus. Frech und zudringlich ist er nie geworden. Manchmal hat er meine Brüste berührt, immer nur wie aus Versehen, und wenn ich ihn dann frech angrinste, wurde er rot wie ein Backfisch, der alte Mann. Und darum hasste mich Frau Kossatz auch, sie dachte, ich hätte etwas mit ihrem Mann, und machte ihm Szenen, und mich versuchte sie zu triezen und mir schlechte Zensuren zu geben, doch das hat der alte Kossatz immer verhindert.
    Zum Abschluss bekam ich in der praktischen Note von ihm eine Eins, da war mir die schlechte Beurteilung der Berufsschule schnurzegal, denn ich wusste, wenn ich irgendwo anders als Gärtnerin anfangen will, schauen die Meister auf die praktische Note und interessieren sich nicht die Bohne, was ich in der Buchführung für eine Zensur erhalten hatte oder ob ich die Familie der Allium runterrasseln kann. Der Chef schaut auf die praktische Note, und er schaut auf mich, und da hatte ich etwas zu zeigen, was glänzender war als mein Schulzeugnis und die Kerle wesentlich mehr interessierte als die Beurteilungen meiner Berufschullehrer. Die Lehrer in der Schule haben gelacht, als ich ihnen sagte, dass ich die Blumen nach ihrem Duft einteile. Sie haben gelacht und getan, als sei ich eine Idiotin, aber die Kunden kaufen die Blumen wegen ihres Aussehens undihrer Farben und wegen des Dufts, und keiner hat bei mir eine Blume gekauft wegen ihres lateinischen Namens, doch das war den verknöcherten Lehrern nicht beizubringen.
    Als Kossatz mein Abschlusszeugnis schreiben musste, holte er mich ins Büro und sagte mir, eine Eins kann er mir leider nicht geben. Es ist für ihn immer ein Vergnügen gewesen, mit mir zusammenzuarbeiten, aber er hat auch bemerken müssen, dass ich den lieben Gott einen frommen Mann sein lasse, sobald er mir den Rücken zuwende. Für eine Eins hätte ich fleißiger sein müssen, viel fleißiger.
    »Ich gebe mein Bestes«, sagte ich zu ihm, »ich gebe mein Bestes, und den Rest lasse ich mir schenken.«
    Da hat er gelacht und gesagt: »Richtig, mein Mädel, goldrichtig!«, und mir dann eine Eins eingeschrieben, und ich habe ihm einen Kuss gegeben, aber einen mit Feuer und Dampf. Und da wurde er wieder knallrot. Wenn seine Frau in dem Moment im Raum gewesen wäre, hätte mich das nicht abgehalten, auch wenn sie Mordio! gebrüllt und einen Blumentopf nach mir geworfen hätte. Mehr war nicht mit dem Alten und mir, schließlich war er mindestens dreißig oder vierzig Jahre älter als ich, also scheintot, und hätte mein Vater oder Großvater sein können.
    Nach der Lehre habe ich noch vier Jahre in Guldenberg gearbeitet, nicht als Gärtnerin, da verdiente man zu wenig. Ein Mann aus der Stadtverwaltung, ich gefiel ihm wohl ein bisschen, bot mir an, das Haus der Jugend zu leiten, und da bekam ich fast hundert Mark mehr und ich hatte mit jungen Leuten zu tun, was etwas aufregender war als die vertrockneten Pflanzen und die immer gleichen Kohlköpfe. Ein paar Jahre später ging ich nach Leipzig, ich hatte einen von der Bezirksleitung beeindruckt, der unseren Club besucht hatte und von meiner Arbeit begeistert war, und zwei Jahre später schaffte ich den Sprung nach Berlin, und da verdiente ich dann wirklich Geld. Ich war schließlich dort angelangt, wo ich hinwollte, während Friederike in Guldenbergblieb bei ihrem Bernhard, sie wollte nichts anderes in ihrem Leben erreichen, und so waren wir beide zufrieden.
    Friederike und Bernhard sahen sich in Guldenberg jeden Tag. Wenn Rieke die Spätschicht hatte und dann erst gegen Mitternacht nach Hause kam, lief sie nach dem Aufstehen zu ihrem Bernhard, um ihm Frühstück zu machen. Sie machte alles für ihn oder fast alles, denn nach zwei Jahren kam ich dahinter, dass die beiden noch nie miteinander geschlafen hatten, ich meine richtig miteinander schlafen. Ich war fassungslos. Sie blieb so oft

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