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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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und das ist gewöhnlich nicht viel. Das war ihr nicht klarzumachen, und so bekam sie halt ewig nur das, was man ihr gab. Sie sollte froh sein, dass ich alles in die Hände genommen hatte. Sie wäre noch hundert Jahre zu Hause geblieben, wenn Vater das gewollt hätte, und eine Arbeitskraft mehr auf einem Hof war immer zu gebrauchen.
    Am 29. August fuhren wir mit einem Koffer, vier Pappkartons und einem prall gefüllten Seesack, den Mutter noch von ihren Eltern aus dem ersten Weltkrieg besaß, nach Guldenberg.Bernhard hatte sich ein Auto geborgt und holte uns ab. Vater war auf dem Feld, als Bernhard kam und wir das Auto mit unserem Gepäck voll luden. Mutter zerdrückte ein paar Tränen, woraufhin Rieke laut aufheulte und die beiden sich minutenlang in den Armen lagen, als würden wir eine Weltreise antreten. Als ich mich verabschiedete, sagte ich auch, dass ich ganz traurig bin, worauf mir Mutter fast eine geknallt hätte, denn bei mir strahlten sogar die Knöpfe meiner Bluse vor Glück. Dann verlangte Rieke, dass Bernhard zum Feld fahren muss, wo Vater mit dem Pferd den Acker umbrach, damit wir uns von ihm verabschieden können. Ich schlug drei Kreuze, als wir endlich aus Spora hinausfuhren.
    Mit Rieke in einem Zimmer zusammenzuleben fiel mir nicht schwer. Daheim hatten wir in einem Raum geschlafen, so war ich es gewöhnt, und mit meiner Schwester kam ich leicht zurecht. Sie konnte sich nie entscheiden, bei keiner Sache, immer überlegte sie, und wenn sie sich schließlich zu etwas durchgerungen hatte, stellte sie es Sekunden später in Frage. Sie war im Grunde erleichtert, wenn ich alles bestimmte, und so machte sie stets, was ich sagte. Es gefiel ihr, weil sie dann keine Verantwortung hatte und, im Notfall und wenn etwas schief ging, nie die Schuldige war, sondern mich vorwurfsvoll anblicken konnte und einen Sündenbock gefunden hatte. Wenn ich es gar zu arg trieb, wurde sie plötzlich und aus heiterem Himmel wütend und schrie herum, dass sie sich nicht weiter von mir herumkommandieren lasse, dass sie vier Jahr älter ist und selber einen Kopf hat. So ein Sturm zog genauso schnell wieder ab, wie er gekommen war, ich musste bloß meinen Mund halten und sie nicht reizen. Ich nickte vielmehr heftig und sagte, sie habe Recht, beim nächsten Mal solle sie entscheiden, und ich würde meiner großen Schwester folgen. Dann war sie zufrieden, und bei der nächsten Gelegenheit, bei der es etwas zu entscheiden gab, war sie froh, wenn ich ihr sagte, wo es langgeht. Ein Seelchen, die Rieke.
    Die Witwe, sie hieß Schober, unter uns nannten wir sie immer die Witwe, weil ihr Wohnzimmer mit uralten Fotos ihres Bomberpiloten angefüllt war, besaß eine kleine Dachkammer, die mit Gerümpel voll gestellt war, wahrscheinlich war da auch die Uniform ihres Weltkriegshelden zu finden. Sie fragte uns, ob wir diese Kammer dazumieten wollen, sie würde sie uns billig überlassen, da es dort keine Möglichkeit zu heizen gab. Wir dankten und sagten, wie werden es uns überlegen. Ein halbes Jahr später mietete ich sie auf meine Kosten dazu, obwohl ich nur Lehrlingsgeld bekam und von zu Hause kaum unterstützt wurde. Ich brauchte die Kammer, um manchmal allein oder jedenfalls nicht mit Friederike zusammen zu sein.
    Die Lehre war leicht verdaulich. Frau Kossatz war eine verbitterte und stets schlecht gelaunte Frau, die an allem und jedem etwas auszusetzen hatte. Selbst die Kunden bekamen ihr Fett weg, wenn der Dame eine Laus über die Leber gelaufen war. Sie hatte in der Gärtnerei nichts zu sagen, denn der alte Kossatz war der Chef, und er bestimmte, da hatte seine Frau nichts zu vermelden. Ich kam gut mit ihm klar. Außer mir gab es einen weiteren Lehrling, Helke, die bereits im letzten Lehrjahr war. Dann waren da der Herr Förster, der die schweren Arbeiten im Garten übernahm und alle Ausbesserungen an den Gebäuden, und Frau Gellag, die das Gewächshaus betreute und besonders schöne Sträuße binden konnte, viel schöner als die von Frau Kossatz und von Helke und mir.
    Ich gefiel dem alten Kossatz, weil ich nicht auf den Mund gefallen war und immer guter Laune. Außerdem gefiel ich ihm auch so. Er strich andauernd um mich herum, und wenn ich an den Beeten zu tun hatte und mich bücken musste, bemühte er sich, einen Blick in meine Bluse zu werfen. Und da gab es ja was zu sehen.
    Ich hatte schöne Brüste, schon als Vierzehnjährige, und da ich es ablehnte, sie in diese fürchterlichen rosa oder weißenHalter zu schnüren, konnten sie sich

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