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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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bei ihm über Nacht, dass mir ein solcher Gedanke nie gekommen ist. Was zum Teufel trieben die zwei, wenn sie nächtelang zusammen in einer Wohnung und in einem Zimmer hausten?
    »Ich schlafe ja mit ihm«, verteidigte sich Rieke mir gegenüber, als ich es mitbekam und sie zur Rede stellte, »wir schlafen zusammen in einem Bett. Wir streicheln uns und dann schlafen wir. Aber eben nur küssen und streicheln.«
    »Und das macht Bernhard mit?«
    »Er versteht es. Er versteht mich besser als du. Ich bin schließlich nicht sexbesessen.«
    »Mein Gott, Rieke, du bist einundzwanzig. Auf was wartest du? Auf einen anderen Mann? Auf einen Prinzen?«
    »Nein. Ich will keinen anderen Mann. Ich liebe Bernhard. Und ich will nicht, dass er mich bloß wegen dieser Sache liebt.«
    »Wegen dieser Sache? Meinst du damit deine Muschi?«
    »Wie du redest, Kathi! Wie ein Flittchen.«
    »Ach was, Flittchen. Der arme Junge muss ja einen Samenkoller bekommen.«
    »Kathi! Ich bitte dich!«
    »Ihr liegt wirklich nebeneinander im Bett, und du lässt ihn nicht ran?«
    »Das ist ganz allein unsere Angelegenheit. Misch dich da gefälligst nicht ein. Und ich will nichts mehr davon hören.«
    »Und wann darf er ran? Wann erteilst du ihm die Starterlaubnis? Zur Silberhochzeit?«
    Sie lief hinaus und knallte die Tür zu. Sie war wütend auf mich, was mir Leid tat, aber ich war wirklich sprachlos. Es mag ja sein, dass ich etwas zu früh damit begonnen habe und dass mir die Kerle halt besonders gut gefallen, vielleicht hatte Mutter Recht und ich war mannstoll, na, und wenn schon, jahrelang mit einem festen Freund gehen und sogar die Nächte mit ihm verbringen und dabei das Jungfernhäutchen zu behüten, das erscheint mir noch heute abwegig. Ich kannte Rieke und wusste, dass sie eine ulkige Nudel war, nur wieso Bernhard das mitmachte, war mir unbegreiflich. Er war ein gut aussehender Kerl, nicht sehr groß, aber stämmig gewachsen. Und er hatte irgendetwas an sich, das mir gefiel und sicher nicht nur mir. Er redete nicht viel, insofern hätte er gut zu mir gepasst, denn ich redete immer gern, und Bernhard brachte es fertig, eine Stunde mit uns im Zimmer zu sitzen und nichts zu sagen. Er lächelte und schwieg, und wenn er einen ansah, da strahlte etwas von ihm aus. Er strahlte einen ganz bestimmten Geruch aus, würde ich sagen, wenn das nicht unsinnig wäre, weil ein Geruch nicht strahlen kann. Er konnte schweigen, und man hatte nicht das Gefühl, dass er einem nichts zu sagen hat. Man spürte bei ihm, dass er ganz genau wusste, was er will, und dass er alles durchsetzen würde, was er sich vornahm. Wenn er mich minutenlang ansah und dann meine Hand anfasste, bekam ich sofort ein Fell, denn alle Härchen auf meinem Arm standen augenblicklich aufrecht. Er konnte einen aber auch angucken! Er starrte nicht, er blickte einem unverwandt und freundlich in die Augen, und auf der Stelle roch ich diesen Geruch, er verströmte einen Duft von Kraft und Entschlossenheit. So muss ein Vulkan riechen, bevor er ausbricht. Er war ein richtiger Mann, und darum konnte ich überhaupt nicht verstehen, dass er sich auf die dummen Spielchen von meiner Schwester einlässt. Ich hatte gedacht,er hätte sie gleich genommen, gleich bei ihrer allerersten Verabredung, denn genau danach roch er.
    Friederike redete nach unserem Streit eine Woche nicht mit mir und schaute mich so vorwurfsvoll an, als hätte ich sonstwas gesagt. Als ich zwei Tage später die beiden traf und Bernhard anlächelte, trat mir Rieke auf die Zehen und funkelte mich an, obwohl ich gar nichts gesagt hatte.
    Vierzehn Tage später kam Bernhard in unser Zimmer bei der Witwe, weil Friederike ihn vom Adler aus angerufen und gebeten hatte, ihr frische Wäsche vorbeizubringen, sie hatte sich mit altem stinkendem Öl übergossen und musste sich vollständig umkleiden. Als Bernhard kam, machte ich mich gerade zum Ausgehen zurecht und zog, als er an die Tür klopfte, rasch den Bademantel über. Er bat mich, ihm zu helfen, damit er Rieke das Richtige bringt. Ich öffnete ihren Schrankteil und gab ihm eine Bluse und einen Rock, dann zeigte ich ihm ihr Fach mit der Unterwäsche und sagte, er solle sich selbst etwas heraussuchen.
    »Nimm dir, was dir gefällt«, sagte ich, »du wirst ja ein paar kleine Vorlieben haben, oder?«
    Der arme Kerl war unschlüssig und bat nochmals, dass ich ihm etwas gebe. Ich sagte ihm, ich bin in Eile, er soll sich selbst bedienen. Ich ließ den Bademantel auf die Erde fallen und stellte mich

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