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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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gedacht, denen die Motorräder zu schwer waren oder zu unhandlich, jedenfalls saßen auf den Fotos in der Zeitung immer irgendwelche Schönheiten im Damensitz auf diesen Rollern, so dass es kinderleicht schien und ich darauf sparen wollte, sobald ich nicht mehr nur mein Lehrlingsgeld bekam, sondern ausgelernt hatte und einen anständigen Monatslohn erhielt.
    Babsy erschien an einem Dienstag auf ihrem weißen Motorroller und in einem roten Kleid auf dem Markt. Wie mir mehrere Freundinnen erzählten, ist sie zweimal um den Platz gefahren, bis alle zu ihr sahen, und dann ist sie auf den Bürgersteig gefahren, direkt vor die Treppenstufen des Rathauses, und hat dort den Roller geparkt. Das rote Kleid warein dünner Fummel, durch den man alles sehen konnte, und wurde oben von zwei dünnen Schnüren gehalten. Das Tollste daran war die Länge. Als sie auf dem Roller fuhr, konnten alle ihre Beine bis oben bestaunen, und sie dachten sicherlich, das Kleid sei ihr beim Fahren hochgerutscht. Als sie abstieg, konnte man ihre Beine noch immer sehen, denn das Kleid endete zwei Handbreit überm Knie. Jahre später wurde so etwas modern und hieß Minikleid, aber damals gab es das nicht, und bei uns hieß so etwas Schulmädchenmode, weil nur kleine Mädchen so kurze Röcke trugen. Jedenfalls starrte der ganze Markt zu Babsy, und das wollte sie wohl auch. Der Polizist, der den Tag über um den Markt herum spazierte, weil dort der Bürgermeister saß und sich das Parteibüro befand, kam sofort auf sie zugerannt und sagte ihr, es sei verboten, ein Motorrad auf dem Bürgersteig zu parken, zumal vor der Treppe zum Rathaus.
    »Auch Motorroller?«, erkundigte sich Babsy bei ihm. Sie strahlte ihn dabei an, dass der Polizist ganz verlegen wurde.
    »Selbstverständlich. Alle motorbetriebenen Fahrzeuge haben nichts auf einem Bürgersteig zu suchen.«
    »Oh, Gott, das wusste ich nicht.«
    »Haben Sie einen Führerschein? Wenn Sie die Fahrschule gemacht haben, müssten Sie das wissen. Zeigen Sie mir bitte Ihren Führerschein.«
    Das Mädchen ging zu dem Roller, auf dessen Gepäckablage ein kleiner roter Koffer geschnallt war, löste den Riemen, nahm den Koffer herunter und legte ihn mitten auf den Bürgersteig.
    »Einen Moment, bitte, Herr Polizist«, sagte sie. Sie öffnete den Koffer, und es machte ihr offensichtlich nichts aus, dass alle sehen konnten, was darin war. Dann beugte sie sich über den weit geöffneten Koffer und begann in ihren Sachen zu kramen. Sie beugte sich so tief, dass der ganze Markt ihr weißes Höschen sehen konnte. Der Polizist, derdirekt neben ihr stand und von ihr nichts als ihre Hose sah, wurde knallrot und blickte unruhig umher, um nicht fortwährend auf den Hintern zu starren. Es habe mindestens drei Minuten gedauert, sagte eins der Mädchen, ehe Babsy sich wieder aufgerichtet und dem Polizisten ihren Führerschein gegeben habe.
    »Ich wusste doch, dass ich so ein Papier irgendwo haben muss«, sagte sie und riss dabei ihre Augen weit auf. »Ist das der richtige Schein, Herr Polizist?«
    »Ja, das ist Ihr Führerschein. Wenn Sie ihn besitzen, dann müssten Sie wissen, dass Sie hier nicht parken dürfen. Das ist strafbar.«
    »Oh, Gott, ich bin wirklich ein gar zu garstiges Mädchen! Was machen Sie jetzt mit mir?«
    »Fahren Sie den Roller herunter. Und vor dem Rathaus dürfen Sie nicht parken, hier ist Parkverbot.«
    »Nicht auf dem Bürgersteig und nicht auf der Straße? Wohin soll ich damit? Können Sie nicht eine Ausnahme mit mir machen?«
    »Ausgeschlossen, Fräulein. Sie können an der Apotheke parken, dort, wo die Autos stehen.«
    »Aber der Roller ist so schwer zu schieben. Und ich bin doch nur ein Mädchen.«
    Der Polizist war verlegen und schnaufte laut. Er sah sich unruhig um, dann ging er schweigend zum Motorroller und schob ihn tatsächlich vor die Apotheke. Babsy, in beiden Armen den halb geöffneten Koffer, stolperte ihm auf ihren hohen Absätzen hinterher.
    »Sie sind der netteste Polizist, den ich je getroffen habe«, sagte sie, als er die Maschine zwischen den Autos aufgebockt hatte, und dann küsste sie ihre Finger und legte sie anschließend auf die Stirn des Polizisten.
    »Dafür sind wir doch da«, sagte er geschmeichelt. Auf seiner Stirn, genau an der Stelle, an der sie ihn mit den Fingern berührt hatte, bildeten sich Schweißperlen.
    »Sie sollten mich übers Knie legen und mir den Po versohlen. Verdient hätte ich es ja.«
    »Aber, Fräulein!«, sagte er nur. Er sah sich hilflos um, da alle

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