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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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das alle faszinierte, die Männer und die Frauen und die alten Betschwestern. Der alte Doktor Wilkert hat im Schwarzen Adler vor allen Leuten gesagt, wenn dieses Mädchen, also meine Babsy, an einem Spiegel vorbeigeht und sich darin sieht, wird sie von sich selber begeistert sein, denn wo sie erscheint, geht dieSonne auf. Und das war die Wahrheit, auch wenn Rieke, die es mir erzählte, später Gift und Galle spucken konnte, wenn Babsy auftauchte. Rieke war der einzige Mensch in Guldenberg, der schlecht über Babsy redete, Rieke und die alte Kossatz, doch der war Babsy nie über den Weg gelaufen, die hatte lediglich von ihr gehört, und außerdem machte die Kossatz alle Leute madig, sogar den alten katholischen Priester, den die meisten Einwohner für einen Heiligen hielten. Zu Kossatz, meinem Chef, habe ich einmal gesagt, die merkwürdigste Blüte in der ganzen Gärtnerei ist seine Frau. Da hat er gelacht und mich angegrinst.
    Mit Babsy sprach ich viel über Männer. Ihr gefiel Manfred nicht, der Elektriker, mit dem ich damals ausging und der sich fürchterlich in mich verliebt hatte.
    »Pass auf dich auf, Kathi. Bei dem Jungen ist irgendetwas faul. Ich weiß nicht, was es ist, aber ich würde meine rechte Hand drauf wetten. Beißt er dich?«
    »Wie ein Blödmann. Ich habe ihm schon eine gescheuert.«
    »Lass ihn laufen, Kathi. Der braucht eine andere Frau, der braucht eine strenge Mama.«
    »Was braucht der? Eine Mama? Was heißt das?«
    »Was weiß ich! Einige Männer sind komisch. Sie sind süß, und ein bisschen verdreht. Und manche gibt es, die suchen eine strenge Mama, die brauchen das. Und dein Manfred sucht so eine Mama, das glaube ich jedenfalls, bei ihm bin ich mir sogar sicher. Und wenn er die nicht findet, rastet er aus. Für dich ist er nichts.«
    Ich musste ihn nicht laufen lassen. Nachdem ich ihm wegen Babsy mehrmals abgesagt und ihn dreimal versetzt hatte, gab er mir den Laufpass. Zwei Monate vorher hatte er mir mit Selbstmord gedroht, weil ich einen anderen Freund hatte. Für ihn bin ich die einzige Frau, hatte er unter Tränen gesagt, aber sich dann eiskalt von mir verabschiedet, weil ich zu unserem Treffen auf dem Markt nichterschien oder zur verabredeten Zeit nicht da war. Ewige Liebe und dann plötzlich Schluss, bloß weil er eine Stunde vergeblich auf mich gewartet hatte. Zwölf Jahre später, als ich schon längst in Berlin war, musste ich an Babsy denken. Eine Freundin aus Guldenberg hatte mir geschrieben, dass sich Manfred an der sechsjährigen Tochter seiner Verlobten zu schaffen gemacht hat und für fünf Jahre ins Zuchthaus gekommen ist. Ich weiß nicht, ob Babsy das damals wirklich schon gespürt hatte, aber einen Blick für Männer hatte sie.
    Ein paar Tage später sprach sie mich auf Bernhard an. Er gefiel ihr, was mich überraschte, denn sie war schließlich eine Sängerin, die öffentlich auftrat und vielleicht bald eine eigene Schallplatte hatte, und Bernhard war nur ein einfacher Mann, der sein Geld mit irgendwelchen Geschäften auf Rummelplätzen verdiente und nicht sehr gesprächig war, mit Witz und Charme hatte er noch nie jemanden betören können. Babsy meinte, er hätte etwas von einem richtigen Mann, er rieche jedenfalls nach einem Mann, und ich erwiderte, früher hätte er jedenfalls nach Holzwurm gerochen, denn er sei ein gelernter Tischler. Sie wollte wissen, ob ich mit ihm schon geschlafen habe, und ich fragte, wie sie denn darauf käme. Ihre Frage überraschte mich vollkommen und ich bin sicher rot geworden, denn ich hatte nie jemandem von meiner kleinen und kurzen Geschichte mit Bernhard erzählt.
    »Was fällt dir ein? Er ist der Freund meiner Schwester.«
    »Ja, eben. Da hast du doch schon ein Verhältnis mit ihm. Und wenn er deiner Schwester gefällt, kann er dir auch gefallen. Das liegt dann im Blut, da kann man gar nichts gegen machen. Das ist die Natur, Kathi.«
    Einen Moment lang hatte ich überlegt, ob ich ihr von Bernhard und mir erzähle. Sie lachte so ausgelassen, dass ich unsicher war, ob sie es ernst meinte oder sich über mich lustig machte, und so hielt ich lieber den Mund.
    »Kindchen«, sagte sie dann zu mir, »ich glaube, viel weißt du nicht über die Männer. Laß dich von der alten Tante Babsy aufklären. Süß sind sie alle, auch die mit Glatze und Bauch, darauf kommt es überhaupt nicht an. Was dich als Frau an den Männern interessieren sollte, das ist allein, ob sie Männer sind. Und da gibt es Erfahrungen, meine Kleine. Zuallererst ist der

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