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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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einen Arm um Rieke und nahm keine Notiz von mir. Als Rieke mit einer Bekannten sprach, die an unseren Tisch gekommen war, nahm ich Bernhards Nase und drehte seinen Kopf zu mir.
    »Du musst unbedingt kommen. Ich bin schwanger.«
    Na, da hatte der Süße etwas zu beißen bekommen. Er schluckte heftig und wurde ganz blass. Ein paar Minuten saß er wie betäubt am Tisch und starrte auf sein Bierglas. Als die Musik wieder begann, forderte er mich zum Tanzen auf.
    »Stimmt das? Ist das die Wahrheit?«
    »Du brauchst nur ein paar Monate warten. Dann kannst du diese Wahrheit im Arm halten.«
    »Mein Gott, was wird Rieke sagen, wenn sie es erfährt!«
    »Ist das alles, um was du dir Sorgen machst? Ich bin minderjährig, vergiss das nicht.«
    Er tanzte verbissen mit mir und ohne ein Wort zu sagen. Als wir nach dem dritten Tanz zum Tisch zurückgingen, sagte er: »Bis Montag.«
    Das Wochenende wird nicht allzu vergnüglich für ihn gewesen sein, aber warum ließ er mich auch links liegen, als wenn nichts zwischen uns gewesen wäre. Sollte er ruhig ein bisschen schwitzen. Am Montag erschien er ganz pünktlich. Er wollte nicht mit mir ins Bett, sondern wollte wieder wissen, ob ich tatsächlich schwanger sei. Ich sagte ihm, wenn ein Stier wie er loslege, den man zwei Jahre lang an der Nase herumgeführt habe, sei es nicht verwunderlich,dass das erstbeste Mädchen, das in seine Nähe komme, schwanger würde. Er verlangte, dass ich das Kind abtreiben lasse, er werde alles bezahlen. Ich sagte, wir sollten erst danach darüber reden. Jetzt, wo das Kind im Brunnen lag, brauchen wir nicht mehr aufpassen. Er wollte nicht und sprach von Friederike, doch ich musste ihn nur etwas anfassen und streicheln, um ihn auf Touren zu bringen. Diesmal war er ganz vorsichtig, er glaubte mir nicht, dass ich schwanger sei und wollte kein Risiko eingehen. Als wir uns wieder angezogen hatten, fragte er nochmals: »Also, was ist? Bist du schwanger?«
    »Nicht so richtig« sagte ich und lachte.
    Er wurde wütend, und bevor er mir eine knallte, sagte ich, dass ich es nicht ausstehen könne, wie er sich benehme. In den letzten Wochen hätte er nicht ein Wort zu mir gesagt und getan, als sei ich für ihn Luft.
    »Ich bin mit deiner Schwester befreundet, nicht mit dir«, hielt er mir vor.
    »Ja, und ich helfe dir dabei, damit nicht eines Tages irgendetwas bei dir explodiert. So etwas Hübsches, wäre jammerschade drum, oder?«
    Er sah mich lange an und lächelte schließlich. Als er ging, gab er mir zum Abschied sogar einen Kuss. Ins Bett gingen wir nie wieder. Er wollte nicht. Ich hätte ihn leicht nochmals verführen können, aber schließlich wollte ich keinen Ärger haben mit Rieke und meinem Freund. Bernhard gefiel mir, und da bei meiner Schwester alles klemmte, wirklich alles, wollte ich den beiden einen Gefallen tun, damit Bernhard nicht auf den Gedanken kommt, sich ein anderes Mädchen zu suchen, und Rieke nicht einen Freund verliert, den sie sich nicht verdient hat, und eines Tages mit einem Kerl anrückt, der vielleicht besser zu ihr passt, aber überhaupt nicht zu mir. Jedenfalls war mein Verhältnis zu Bernhard seitdem sehr viel freundschaftlicher, und mit meiner Schwester kam ich ebenfalls besser zurecht. Wenn sie wiedermal einen ihrer seltenen Ausbrüche bekam und sich als die Ältere aufspielte, musste ich bloß an Bernhard denken und wie er damals in fünf Sekunden alles erledigt hatte. Dann konnte mir Rieke an den Kopf werfen, was sie wollte, ich nickte und war ganz gehorsam, und damit machte ich sie völlig hilflos. Rieke brauchte immer jemanden, der ihr sagt, wo es langgeht, sie war die geborene Eheglucke, und der Mann, der sie abbekommen sollte, muss sich jedenfalls nicht darum sorgen, daheim nicht die Hosen anzuhaben.
    Als ich im letzten Lehrjahr war, tauchte Bettina in Guldenberg auf, die verrückte Babsy. Sie besuchte ihren Großvater, um ihn für vier Wochen zu versorgen, während ihre Oma im Krankenhaus war, weil man ihr ein Stück vom Magen herausnahm. Sehr viele Leute können es nicht gewesen sein, die Babsys Ankunft in Guldenberg erlebt hatten, und ganz sicher war es nicht die ganze Stadt, aber am nächsten Tag sprachen alle darüber.
    Babsy kam mit einem Motorroller in die Stadt. Diese Dinger waren ganz neumodisch, und in den Illustrierten waren die beiden Modelle, die es zu kaufen gab, häufig abgebildet, bei uns hatte keiner eine solche Maschine. Wenn man den Fotos glauben konnte, waren die Motorroller vor allem für Frauen

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