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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nebeneinander wohnten.
    Ich war sicher, dass Vater zum ersten Mal in seinem Leben mit Herrn Haber sprach. Vielleicht kam der Tischler gelegentlich in die Apotheke, als Krüppel brauchte er bestimmt verschiedene Medikamente und Binden, aber am Ladentisch bediente Frau Brendel, eine Angestellte von Vater, eine ältere Frau, deren Mann im Krieg gefallen war und die als Witwe noch eine Lehre als Apothekenhelferin absolviert hatte. Mein Vater dagegen hielt sich in dem großen Zimmer hinter dem Verkaufsraum auf, dem Labor, wie er sagte, wo er eigene Mixturen herstellte, die Bestellungen tätigte, die einkommenden Sendungen begutachtete und die in seiner Apotheke lagernden Bestände von Zeit zu Zeit zu überprüfen hatte. Vom Verkaufsraum zum Labor führte eine alte braune Tür, geschmückt mit geschliffenen Spiegelrosetten, die meistens offen stand, so dass Vater sich über das Geschehen in seiner Apotheke informieren konnte. Überdies hatte er eine schmale Glasscheibe in die Wand zwischen Labor und Geschäftsraum einsetzen lassen, die von den Kunden kaum bemerkt wurde, da sie unauffällig in einem Regalfach des wandhohen Apothekerschranks versteckt war, umrahmt von braunen Stöpselflaschen und denweißen Porzellantöpfen mit den lateinisch beschrifteten Etiketten. Vater hatte dadurch jederzeit den Überblick, er konnte sehen, wer in die Apotheke kam, wenn die Türglocke schellte, ohne erst von seinem Drehstuhl im Labor aufzustehen, und nur wenn Bekannte erschienen oder für ihn wichtige Leute der Stadt, die er persönlich begrüßen wollte, kam er nach vorn, stellte sich neben die Kasse und unterhielt sich mit ihnen, während Frau Brendel mit einem kleinen silbernen Tablett in der Hand an den Schränken entlanglief, die alten schweren Schubladen mit den Porzellanschildern aufzog und die benötigten Schachteln herausnahm und auf das Metalltablett stellte, auf dem das Rezept und die bereits herausgesuchten Medikamente lagen. Ich war mir sicher, dass Vater Herrn Haber vielleicht in seiner Apotheke durch den Spion, das schmale Fenster im Medikamentenschrank, gesehen hatte und seinen Namen von den Arztrezepten kannte, aber dass er nie seinetwegen von seinem Laborstuhl aufgestanden und nach vorn gegangen war. Herr Haber war schließlich ein Vertriebener, einer dieser Habenichtse aus dem Osten, von denen direkt nach dem Krieg auch in unser Haus jemand für ein halbes Jahr einquartiert wurde, die Frau Happe, die im Kirchenbüro arbeitete, und ihre gehbehinderte Tochter, die daheim für fremde Leute die Wäsche ausbesserte und nähte. Sie hatten damals zwei Zimmer in unserem Haus bekommen, in einem gab es eine Kochplatte und fließendes Wasser, sie durften unsere Küche benutzen, wenn es unumgänglich war. Wegen eines Umsiedlers wie Herrn Haber wäre mein Vater gewiss nicht in den Verkaufsraum gegangen, dafür gab es für ihn in der Apotheke zu viel zu tun, umso mehr war ich verblüfft, dass er ihn ansprach und sogar einen Nachbarn nannte.
    Herr Haber wandte den Kopf zu ihm, jetzt konnte ich sehen, dass er Tränen in den Augen hatte.
    »Es ist schlimm für Sie, sehr schlimm«, sagte mein Vater, »Sie tun mir Leid.«
    Der Tischler starrte meinen Vater verständnislos an, als überlege er, was diese Worte bedeuteten. Dann nickte er hilflos, immer noch hoffnungslos, aber dankbar für die mitfühlende Bemerkung.
    »Komm jetzt«, sagte Vater zu mir, »wir können hier nichts tun. Wir können nicht helfen, wir stören. Und für dich ist es Zeit.«
    Den Arm hatte er auf meine Schulter gelegt, und so gingen wir zusammen nach Hause. Ich redete die ganze Zeit über den Brand und die Feuerwehr, Herrn Haber und den Polizisten aus der Kreisstadt, um der fälligen Zurechtweisung zu entgehen, doch Vater sagte überhaupt nichts. Als wir daheim ankamen, sah Mutter mich prüfend an, sie vermutete, dass ich eine Abreibung bekommen hätte.
    »Wo warst du? Geh in die Küche, dort steht dein Essen.«
    Vater entließ mich mit einem Klaps auf den Hinterkopf.
    »Es hat gebrannt«, sagte er zu Mutter, »Griesels Scheune ist runtergebrannt, die alte Holzscheune kurz vor der Niedermühle, dort, wo der einarmige Herr Haber seine Tischlerwerkstatt hat. Oder vielmehr hatte, denn davon ist nichts übrig geblieben. Jetzt hat er zum zweiten Mal alles verloren, dieser Herr Haber.«
    »Die arme Familie«, sagte Mutter, »vielleicht kann man ihnen irgendwie helfen.«
    »Wie willst du ihnen helfen, Katharina? Der Mann ist einfach in der falschen Stadt gelandet. Ich an

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