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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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seiner Stelle würde mein Ränzel packen und weiterziehen. Die Stadt will ihn nicht, da kann man nichts machen.«
    »Was willst du damit sagen? War es Brandstiftung? Hat man die Scheune abgebrannt?«
    »Der Tischler jedenfalls ist dieser Meinung. Und ich werde ihm nicht widersprechen.«
    »Aber wer sollte so etwas Gemeines tun?«
    »Da würden mir schon ein paar Namen einfallen, wenn ich lange genug darüber nachdenke. Wäre ich an seinerStelle, meine Liebe, ich würde nicht mehr warten. Jedenfalls nicht so lange, bis mir der nächste Willkommensgruß entgegengeschleudert wird.«
    »Gott im Himmel«, rief meine Mutter und sah Vater mit weit aufgerissenen Augen an, als habe er das Feuer an die Scheune des Tischlers gelegt, »versündige dich nicht. Traust du wirklich irgendjemandem in unserer Stadt eine solche Schäbigkeit zu?«
    Vater lächelte. Er schaute mich an und fragte: »Geht der Sohn von dem Tischler noch immer in deine Klasse?«
    Ich nickte und Mutter sagte: »Er ist sogar der Banknachbar von Thomas.«
    »Schön«, sagte Vater, »dann hoffe ich, du weißt, was du zu tun hast.«
    Ich nickte ohne zu zögern. Dann wurde ich rot und fragte: »Was meinst du? Ich meine, was meinst du genau, was ich tun soll?«
    »Du stellst dich vor ihn, Thomas, das meine ich. Du stehst dafür ein, dass ihn keiner in deiner Klasse scheel ansieht, verstehst du? Die Familie hat es schwer genug, da müssen wir ihnen nicht das Leben zur Hölle machen.«
    Ich nickte wieder, obwohl ich überhaupt nicht wusste, wie ich mich vor ihn stellen sollte. Vor Bernhard musste sich kein Schüler stellen, nicht aus unserer Klasse und nicht aus der ganzen Schule, er konnte für sich selber sorgen, und das tat er auch. Er hatte vom ersten Tag an dafür gesorgt, dass es keiner wagen würde, sich mit ihm anzulegen. Auf dem Schulhof ging man ihm aus dem Weg, und ich könnte eher seinen Schutz gebrauchen, als dass ich mich vor ihn stellen müsste, wie Vater meinte. Das wollte ich Vater nicht erzählen, und daher nickte ich zustimmend.
    Am Montag erschien Bernhard nicht in der Schule, und wir konnten, ohne auf ihn Rücksicht nehmen zu müssen, über den Brand reden, das wichtigste Ereignis seit langer Zeit in der Stadt. Viele von uns waren am Samstagabend beider brennenden Scheune gewesen, und wer das versäumt hatte, war am Sonntag hingegangen, um sich den Aschehaufen und die ausgeglühten Reste anzuschauen. Die Feuerwehr hatte bis Mitternacht die Wiese gewässert, damit nicht das trockene Gras oder die Stoppeln von der Glut erfasst würden. Dann hatte der Hauptmann der Wehr die Schläuche einrollen, die Motorpumpe von vier Männern anheben und in die Halterung am Heck des Fahrzeugs verfrachten lassen und zwei Leute als Nachtwache benannt. Bevor der Wagen abfuhr, waren alle noch einmal um die Reste der Scheune gelaufen.
    In der Klasse waren alle davon überzeugt, dass es Brandstiftung war. Einige wussten oder behaupteten zumindest, dass die Polizei drei verschiedene Brandherde entdeckt habe, die Scheune sei an mehreren Stellen mit Benzin in Brand gesteckt worden, und nun sei das Gelände von der Polizei gesperrt worden, weil sie in den verkohlten Resten und in der Umgebung der Scheune nach Spuren suche. Irgendjemand wollte einen Namen wissen, ein Junge aus der Parallelklasse behauptete, den Namen des Brandstifters zu kennen. Obwohl ihn die älteren Schüler drängten, den Namen endlich auszuspucken, blieb er dabei zu wissen, wer den Brand gelegt habe, wollte jedoch keinesfalls mehr sagen. Und natürlich redeten wir darüber, ob nicht der Tischler selber, Bernhards Vater, die Scheune abgefackelt habe, um vielleicht eine Versicherungssumme zu kassieren oder von der Stadt eine richtige Werkstatt mitten in der Stadt zu bekommen. Die Stadtverwaltung müsse ihm nun etwas anderes zuweisen, irgendeinen leer stehenden Raum, der für eine Werkstatt geeignet wäre, und die Chancen, dass er diesmal etwas in einem Haus bekommt, das zentral gelegen ist, standen nach unserer Ansicht nicht schlecht. Was immer die Stadtverwaltung ihm anbieten würde, es konnte in keinem Fall weiter sein als die abgebrannte Tabakscheune von Griesel. Für uns sprach also einiges dafür, dass ihm derBrand, wenn er ihn auch nicht selbst gelegt hätte, nicht ungelegen gekommen sei, obwohl er ein paar Sachen dabei eingebüßt habe. Mitleid mit ihm hatten wir keins, dafür war es ein viel zu aufregendes Erlebnis für uns.
    Als Bernhard am nächsten Morgen wieder in der Schule erschien, schauten

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