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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Zauberland, jemand, der sich von dem Alltäglichen und Gewöhnlichen unterschied, der mich so glücklich machen sollte, wie ich nie zuvor glücklich war, und um den mich alle Freundinnen beneideten. Mit der Hochzeit sollte ein Traum in Erfüllung gehen, und der unbekannte künftige Bräutigam gehörte daher für mich zur Welt meiner Träume.Und das alles war Bernhard gewiss nicht. Er war der Sohn eines einarmigen Tischlers und würde selbst Tischler werden, und um ihn, den Sohn von Vertriebenen, würde mich niemand in Guldenberg beneiden. Je länger wir zusammen waren, umso mehr verstand es sich wie von selbst, und schließlich lief alles darauf hinaus, dass wir heiraten würden. Caroline, meine beste Freundin, machte ihre Scherze darüber und hörte damit erst verwundert auf, als ich in Tränen ausbrach. Sie verstand mich nicht, ich verstand mich ja selber nicht. Irgendwie passieren Dinge mit uns, sagte ich zu Susanne, die wir nicht wollen, die dann geschehen, weil es keinen Ausweg gibt, und das ist wohl das, was wir Schicksal nennen.
    Zumindest würde er Tischler sein und kein Mechaniker oder Schlosser wie mein Vater, der jede Woche mit einem Haufen ölverdreckter Wäsche ankam, die man stundenlang schrubben konnte und den Dreck und Gestank trotzdem nie ganz wegbekam. Nein, einen Schlosser wollte ich schon gar nicht, und da fast alle Jungen, die ich kannte, unbedingt Automechaniker werden wollten, kam von ihnen keiner in die engere Wahl. Ein Tischler ist einfach nicht so dreckig, da gibt es ein paar Holzspäne und Sägemehl, die kann man ausschütteln und dann die Arbeitsklamotten mit der anderen Wäsche waschen, ohne befürchten zu müssen, dass ein einzelner übersehener Putzlappen die gute Bettwäsche versaut. Mutter bekam Zustände, wenn sie die Kochwäsche mit dem Holz aus der kochenden Lauge herausholte und einen verölten Fetzen entdecken musste, den Vater einfach mit in den Korb für die Schmutzwäsche geworfen hatte. Tischler war besser, und irgendwie hatte ich mich mit Bernhard abgefunden, auch wenn ich mir eigentlich ein anderes Leben erträumt hatte. Wen hätte ich sonst schon in unserem Kaff treffen sollen. Die Kurgäste, die in unsere Stadt kamen, waren alle alt und meistens krank, und viele rochen unangenehm. Dass ich später auf Butzer traf, war ein großes,unerwartetes Glück für mich, selbst wenn es nur drei Monate hielt und Butzer nicht eben nett zu mir war. Er war ein Schwein, das hatten mir alle, die ihn ein bisschen kannten, vorhergesagt und mich gewarnt, mich mit ihm einzulassen. Ein Schwein war er wirklich, aber das war mir damals egal. Ihn habe ich geliebt, wie nie einen Mann zuvor und nie danach, und ich wusste immer, dass es nicht lange gehen würde. Selbst in den drei Monaten, die ich in seiner Wohnung lebte, hatte er andere Weiber und verheimlichte es nicht einmal. Trotzdem bin ich froh, mit ihm zusammen gewesen zu sein. Das jedenfalls war etwas in meinem Leben, das ich nicht missen möchte, nie, nicht damals, als wir zusammen waren, und nicht, als es vorbei war, auch wenn mich keiner außer Susanne verstand und mich alle bedauerten.
    Mit Bernhard war das anders. Und wenn nicht diese Geschichte passiert und Mutter ausgerastet wäre, und selbst Vater, bei dem ich mir alles erlauben durfte, mir verboten hätte, mich mit Bernhard zu treffen, wenn es also nicht diesen Auftritt gegeben hätte, über den die ganze Stadt sprach, obwohl die meisten ihn nur vom Hörensagen kannten, dann wäre ich vielleicht seine Frau geworden und wäre es vielleicht heute noch und hätte jetzt ein Haus mit Vorgarten und Garten und ein eigenes Auto und eine Haushaltshilfe. Und nicht meine beiden missratenen Kinder, die nichts mehr von mir wissen wollen, sondern stattdessen zwei wohlerzogene, wie es sich bei den feineren Leuten gehört, die eine gute Erziehung bekommen und einen anständigen Beruf und sogar studieren und denen man irgendwann etwas vererben kann, denn vererben kann der Bernhard Haber inzwischen einiges. Dann hätte ich jedoch Butzer nicht kennen gelernt, denn mit Bernhard wäre ich nie zu einem Auftritt der Kettlers gegangen. Wie ich ihn kenne, hätte ihm das Geld für ein solches Konzert Leid getan, denn Geld hatte Bernhard damals nie, und eingeladenwurde man von ihm nicht, jeder bezahlte für sich, und das war die ganze Zeit so.
    Nach unserem Spaziergang zur Mulde und vor allem, nachdem Karla gesehen hatte, wie Bernhard mir den Ranzen abnahm, galt ich als seine Freundin. Drei Wochen später

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