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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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konnte mir nicht vorstellen, dass es ihn interessierte. Wir hatten nie über Politik gesprochen, niemals, ich nicht und er sowieso nicht.
    Anfangs fiel mir nichts auf. Ich las in meinen Romanheften oder döste in der Sonne und kümmerte mich nicht um die beiden. Und wenn ich Bernhard aufforderte, mit mir ins Wasser zu gehen oder in das Dorf zu fahren, um etwas einzukaufen, und er dann sagte, er habe keine Lust, weil er sich gerade mit Sylvie unterhalte, habe ich gelacht und mir nichts dabei gedacht. Ich lachte über die beiden, denn es war wie immer mit Bernhard eine sehr einseitige Unterhaltung, nach zwei, drei Tagen jedoch stank es mir gewaltig, und ich habe abends im Zelt etwas zu Sylvie gesagt, ich habe ihr gesagt, sie soll ihre krummen Finger von Bernhard lassen und ihn nicht dauernd voll quatschen. Sie war sofort eingeschnappt und erwiderte, dass ich es nicht verstehe, es sei anders, als ich es mir vorstelle, und Bernhard sei im Unterschied zu mir gesellschaftlich interessiert und wolle nicht in den Tag hineinleben, sondern das Leben gestalten. Ich sagte, dass ich ihr dazu gratuliere, sie möge gefälligst ihr eigenes Leben gestalten und nicht meins oder Bernhards, sonst würde ich ihr etwas gestalten, das ihr nicht gefiele, ihr Gesicht zum Beispiel. Ich habe ihr in der Nacht noch einiges gesagt, wenngleich mir die besten Sachen immer erst einenTag später einfallen. Sie tat, als schliefe sie, obwohl ich genau wusste, dass sie jedes Wort hörte.
    Am Tag darauf habe ich mir Bernhard gegriffen. Ich habe ihn gefragt, ob er mit mir oder mit Sylvie zelten gefahren sei, und er möge sich entscheiden, denn ich würde auf keinen Fall das fünfte Rad am Wagen spielen, eher reise ich ab. Er war erschrocken, weil ihn mein heftiger Ausbruch überraschte, und beteuerte, dass sie sich über berufliche und politische Dinge unterhalten hätten und natürlich wir beide hierher gefahren seien und sich daran nichts geändert habe.
    »Scheint mir aber so«, sagte ich.
    »Aber Marion«, erwiderte er hilflos.
    »Dann beweise es«, sagte ich und ließ ihn stehen.
    Am liebsten wäre ich sofort nach Hause gefahren, doch mit dem Fahrrad die lange Strecke allein zu bewältigen, davor hatte ich etwas Bammel, und außerdem regnete es immerzu, und man war in wenigen Minuten klitschnass.
    Der Rest des Urlaubs verging irgendwie. Es war alles langweilig, und ich freute mich wie nie zuvor darauf, daheim etwas richtig vorgesetzt zu bekommen. Ich wusste zwar, dass Mutter mich einen ganzen Tag lang umständlich befragen würde, um herauszubekommen, ob etwas vorgefallen sei, was sie unbedingt wissen müsse. Und so war es dann auch. Sie fragte und fragte, und die direkteste Frage lautete, ob wir uns näher gekommen seien.
    Ich tat so, als wüsste ich nicht, was sie meinte. Als es mir schließlich zu bunt wurde, sagte ich, Oma werde sie nicht, denn mit Bernhard hätte ich nicht geschlafen, wenn es das sei, was sie wissen wolle, und außerdem gebe es den Coitus interruptus, wenn man keinen dicken Bauch haben wolle. Mutter wurde rot und behauptete, dass sie so was überhaupt nicht wissen wolle, und dass ich nicht so mit ihr zu sprechen habe und sie sich wundere, was ich für Worte in den Mund nehme, von ihr hätte ich die jedenfalls nicht. Da ich nichts zurücknehmen wollte und mich nicht entschuldigte,sondern sie trotzig ansah, verließ sie schließlich das Zimmer.
    Ich hatte sie nicht belogen. Ich habe nicht mit Bernhard geschlafen, nicht am Süßen See und später auch nicht. Ich hatte keine Angst davor, entjungfert zu werden, schließlich war ich alt genug, und mit sechzehn war keine meiner Freundinnen noch Jungfrau, wenn ich ihnen glauben durfte, doch bei Bernhard gab es nichts, das mich kribbelig machte. Er war nett zu mir und sehr lieb, so eine berauschende Erregung jedoch oder ein wahnsinniges Zittern, von denen die anderen Mädchen erzählten, habe ich nie in seiner Nähe verspürt. Manchmal tat er mir Leid, und ich beschimpfte mich selbst, weil ich nicht freundlicher zu ihm war, es war eben so, und ich konnte mich zu Zärtlichkeiten schließlich nicht zwingen.
    Am Süßen See haben es die zwei nach meinem Rabatz vermieden, allein miteinander zu reden. Beide hatten sogar etwas Angst vor mir, was mir recht war. Sylvie saß die restlichen Tage neben ihrem Norbert und redete auf ihn ein, und Bernhard legte sich, wenn endlich mal die Sonne schien, neben mir in den Sand und hörte mir zu. Wenn es regnete, setzten wir uns in unser Zelt, es war etwas

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