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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ein breiter zerfurchter Sandstreifen, als ich ihn einmal ablaufen wollte, waren meine Beine nach einem halben Kilometer hochrot und angeschwollen von den vielen Distelstichen.
    Am dritten Tag kamen die Jungen zu uns an das Zelt und wollten uns sprechen. Sie hockten sich auf unsere Luftmatratzenund drucksten herum. Bernhard bekam gar kein Wort heraus, und erst nachdem Sylvie ärgerlich wurde und sie hinauswerfen wollte, rückte Norbert mit der Sprache heraus.
    »Wie wäre es denn, ich meine, was haltet ihr davon, wir könnten einmal tauschen.«
    »Was willst du tauschen, Storchenbein? Von was redest du eigentlich?«
    »Ich dachte, also es ist so, Bernhard und ich haben uns überlegt, wir müssen ja nicht den ganzen Urlaub über, also immer im gleichen Zelt, das ist langweilig.«
    »Habt ihr euch gedacht?«
    »Ja.«
    »Toll, mein Süßer, tolle Idee. Und da meinst du, Marion und ich sollen nun in euer Zelt ziehen, und ihr beide macht euch hier breit?«
    »Wie? Was soll das denn?«
    »Ich denke, du willst tauschen, Storchenbein? – Hat er nicht gesagt, wenn er mit Bernhard in unserem Zelt schläft und wir beide in ihrem, dann wäre es weniger langweilig?«
    »So war das nicht gemeint.«
    »Und was hatten wir vereinbart, Storchenbein? Worüber haben wir vor dem Urlaub gesprochen? Alles schon vergessen?«
    »Wenn du es nicht willst, lassen wir es bleiben.«
    »Wir waren uns doch einig, oder? Gilt das nicht mehr?«
    »Schon gut. Vergiss es.«
    »Immer wieder fängst du damit an. Ich will das nicht, verstanden?«
    »Reg dich ab, Sylvie. War nur ein Gedanke. Wenn er euch nicht gefällt, gut. Bleibt es eben, wie es ist.«
    »Das machst du jedes Mal, du Blödmann. Jedes Mal versprichst du, nicht zu nerven, und ich kann darauf warten, dass du wieder damit anfängst.«
    »Gehen wir«, sagte Norbert zu Bernhard, »du hörst ja, wir nerven die Weiber.«
    »Ja, verschwindet alle beide. Und in den nächsten Stunden will ich nichts von euch hören und sehen, verstanden?«
    Ich war erleichtert. Ich wusste, dass die Jungen den Vorschlag machen würden, ich hatte es vom ersten Tag an erwartet, aber ich hatte überhaupt nicht gewusst, wie ich darauf reagieren sollte. Ich wollte es, und ich wollte es nicht, und vor allem wollte ich keine Zimtziege sein, was die Jungen sicher von mir denken würden, wenn ich nein gesagt hätte. Sylvie hatte ihnen kräftig die Leviten gelesen, und ich war erleichtert, dass sie mir die Entscheidung abgenommen hatte.
    »Na, ich denke, das haben die beiden verstanden, Sylvie. Die werden nicht noch einmal damit anrücken.«
    »Da bin ich überhaupt nicht sicher. Ich kenne doch Norbert, der hat überhaupt nichts anderes im Kopf. Der ist versessen auf das Gegrapsche, dieser Blödmann.«
    Nach einer Woche wurde das Wetter schlecht. Es regnete jeden Tag mehrere Stunden, alles im Zelt war feucht, und ich hatte ständig kalte Füße. Nachts lag ich stundenlang wach, bis mir endlich so warm war, dass ich einschlafen konnte. Irgendwann riss mir der Geduldsfaden. Ich hatte gleich nach ein paar Tagen bemerkt, dass Sylvie ständig etwas mit Bernhard zu bereden hatte. Sie arbeitete beim Rat der Stadt und tat sich damit wichtig, als sei sie der Bürgermeister oder seine rechte Hand. Sie erzählte ständig von irgendwelchen Sitzungen und Entscheidungen, was keinen von uns interessierte. Bernhard, der kleine Trottel, hörte ihr zu, genauso wie er mir sonst zuhörte. Sylvie war eine ganz Fortschrittliche, sie war überall dabei, und genauso war sie schon an der Schule. Wenn damals irgendetwas gewählt wurde, eine Kommission oder ein Gremium oder eine Delegation, ließ sie sich jedes Mal als Kandidat aufstellen, und wenn sie dann nicht gewählt wurde, war sie todunglücklich. Meistens wurde sie ja gewählt, da man mit Mühe und Not gerade so viele Kandidaten zusammenbekam, wiegewählt werden mussten. Sie lief jeden Tag mit dem Pionierhalstuch herum, was außer den Kleinen nun wirklich keiner machte oder nur, wenn es unumgänglich war. Sie glaubte daran, sie glaubte wirklich daran, an die Politik und die Reden, und sie konnte diese politischen Lieder auswendig und sang sie laut mit, damit es jeder bemerkte, vor allem die Lehrer. Mich interessierte Politik nicht die Bohne, und ich hielt mich aus allem heraus und sagte allenfalls das Nötigste. Ich sagte das, was man von mir erwartete, und das war leicht zu erraten. Jedenfalls fing Sylvie am Süßen See wieder damit an, darüber zu reden, und mein Bernhard hörte ihr zu. Ich

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