Landnahme
das nicht helfen.«
»Hmhm. Ich glaube, Bernhard isst ausreichend Gemüse.«
»So? Wie meinst du das?«
Und dann begann sie zu kichern, und ich konnte mich gleichfalls nicht mehr halten. Wir prusteten vor Vergnügen so laut, dass wir beide mit dem Kopf unter den Schlafsack krochen, um uns auszulachen. Als wir uns wieder hinsetzten, hatte ich Lachtränen in den Augen und Sylvie sicher auch.
»Ausreichend Gemüse. Hihi, das hört sich nicht eben gut an.«
»Ich meine, weil seine Eltern nicht viel Geld haben. Es sind doch Vertriebene.«
»Ich weiß. Gar kein Fleisch, das ist bestimmt nicht gut in seinem Alter.«
Sie begann wieder zu lachen, ihr Kopf verschwand unterdem bunten wattierten Stoff. Durch die Leinwand konnte man vor unserem Zelt Schatten sehen.
»Was ist mit euch? Schlaft ihr schon oder wollen wir einen kleinen Spaziergang machen? Nur um zu sehen, was hier los ist.«
Eine Hand knüpfte an dem Verschlussknopf, dann wurde der Reißverschluss heruntergezogen und der Kopf von Norbert erschien im Zelteingang. Sylvie schrie auf und sagte, er solle sich davonmachen, sie sei völlig erledigt. Erschrocken schaute uns Norbert an, sein Mund stand halb offen, er war verwirrt, zog langsam den Kopf zurück und verschloss unseren Zelteingang.
Nachdem er gegangen war, fragte Sylvie: »War doch richtig, oder? Die sollen uns in Ruhe lassen.«
Ich war müde und brummte zustimmend. Am Zelt liefen Leute vorbei, man hörte das Rascheln des Grases und die leisen Stimmen. Von irgendwo war Musik zu vernehmen. Ich hatte mich darauf gefreut, vierzehn Tage lang nicht die nörgelnde Stimme meiner Mutter zu hören und Vaters Erklärungen, der immer alles wusste und stets Recht hatte, was mir mächtig auf den Wecker ging. Ich hatte gedacht, es müsste wunderbar sein, wenn ich endlich einmal für ein paar Tage von zu Hause wegkam. Jetzt fühlte ich mich so hilflos und allein gelassen, dass ich sicher geheult hätte, wäre ich allein im Zelt gewesen.
Mutter war dauernd um mich besorgt, und was ich auch anzog, sie musste immer einen Kommentar dazu abgeben, was dazu führte, dass wir uns ständig stritten. Und Vater verstand alles, konnte immer sagen, was man tun musste, und er hatte jedes Mal Recht, was mich nicht aufmunterte, denn es ist nicht einfach, mit einem Vater zu tun zu haben, der ewig und immer alles besser weiß und erledigt. Es mag ja einiges in meinem Leben falsch sein, damals wie heute, und es gibt ein paar Entscheidungen, die ich lieber nicht getroffen hätte oder völlig anders, doch auch sie gehören zumir, und ich glaube nicht, dass man nur richtig lebt, wenn man alles richtig macht. Was mir danebengegangen ist, gehört zu mir, und was falsch war, ist auch mein Leben. Aber damals fehlten mir meine Eltern, und zelten fand ich nicht mehr so gut. Ich spürte den Erdboden durch den Schlafsack und die Luftmatratze hindurch und würde am nächsten Morgen sicher einen wunden Rücken haben. An meine Kleider, die in den Fahrradtaschen steckten, durfte ich gar nicht denken. Nach vierzehn Tagen im Zelt und in den Taschen wären sie endgültig zerknautscht und sähen aus, wie aus einem Mülleimer gezogen.
»Schläfst du?«
»Ja«, knurrte ich. Ich starrte auf die kaum erkennbare Zeltleinwand und hätte Sylvie am liebsten angebrüllt, wie sie es sich denn vorstelle, in diesem blöden Zelt und mit dem ganzen Lärm und Krach drum herum einschlafen zu können, wenn man es nicht gewöhnt war, mitten auf einem Güterbahnhof zu wohnen.
»Was hast du plötzlich? Wolltest du denn mit den Jungen spazieren gehen? Jetzt, im Dunklen?«
»Nein.«
»Meine Mutter würde sagen, wer so was macht, ist mannstoll.«
»Bin ich nicht. Du bist wirklich blöd.«
»Weißt du, was mannstoll ist?«
»Ach, lass mich in Ruhe.«
»Ich habe so eine Tante. Alle in der Familie sagen, sie ist mannstoll. Eigentlich ist sie ganz nett, ich verstehe mich mit ihr. Sie hat einen süßen Hund, einen Cockerspaniel, mit dem ich stundenlang durch die Wohnung toben kann. – Weißt du, was das ist, mannstoll?«
»Die sind hinter Männern her. Das sind Frauen, die einen Mann haben wollen.«
»Das stimmt nicht. Jede Frau will einen Mann haben, oder? Nee, nee, mannstoll, das ist etwas ganz anderes.«
»Woher willst du denn das wissen, Fräulein Oberschlau?«
»Ich weiß es eben. Von meiner Mutter.«
»Und was weißt du?«
»Das sind nämlich Frauen, die keine Unterhosen tragen.«
Für Sekunden war es ganz still im Zelt.
»Nie? Die tragen nie eine
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