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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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allerdings kein Wort, und mit Bernhard sprach ich nie darüber.
    Ein paar Wochen später hieß es, die Genossenschaften werden alle aufgelöst, da sie nicht rentabel arbeiteten und zu wenig produzierten. Im ganzen Land gehe man deshalb daran, die bäuerlichen Vereinigungen, die sich als zu schwach und wirtschaftlich unergiebig erwiesen hätten, zu beseitigen. Künftig sollten die privaten Bauern stärker unterstützt werden und bei der Zuteilung von Saatgut und Dünger nicht mehr benachteiligt. Bei der Zuteilung der Maschinen von den Ausleihstationen sei künftig streng nach den gesetzlichen Bestimmungen und gerecht vorzugehen, denn die privaten Bauern hätten einen erheblichen und bislang zu wenig gewürdigten Beitrag zur Volksernährung geleistet. In irgendwelchen Zeitungen soll darüber offen berichtet worden sein, angeblich hätte dort sogar gestanden, dass unser Land einen deutschen Weg zu gehen habe und nicht den russischen. In unserer Zeitung stand nichts darüber, auffällig war, dass kaum noch etwas über Genossenschaften und Landwirtschaft in dem Blatt stand, obwohl sonst monatelang auf der Titelseite über nichts anderes berichtet wurde.
    Ich hörte von diesen Geschichten durch Vater. Er war seit dem Krieg mit zwei Bauern aus unserem Ort befreundet, denen er damals nach Feierabend geholfen hatte, weil ihre Knechte als Soldaten eingezogen worden waren und sie die viele Arbeit nicht allein bewältigten. Nach dem Kriegsende, als es kaum etwas zu kaufen gab, unterstützten nun diese beiden Bauern unsere Familie, wir gingen jede Woche einmalauf einen der Höfe und holten Eier und Mehl, und gelegentlich gab es sogar ein Stück Fleisch. Mit Herrn Ebert und Herrn Griesel, den beiden Bauern, traf Vater sich regelmäßig im alten Preußischen Hof, einer richtigen Kneipe, die jetzt Deutscher Hof hieß. Herr Ebert und Herr Griesel waren nicht Mitglieder der Genossenschaft geworden, obwohl man sie heftig bedrängt hatte. Ihre Höfe betrieben sie ganz allein, ihre Frauen und die Kinder halfen und ab und zu ein paar Leute, die sich ein paar Pfennige dazuverdienen wollten. Die beiden Bauern hatten Vater von den vielen Ungerechtigkeiten erzählt und dass man es den Faulenzern in der Genossenschaft vorn und hinten reinstecken würde. Sie sagten, man müsse nur einmal über die Felder gehen, dann wisse man Bescheid. Als jetzt die neuen Nachrichten aus Berlin die Runde machten, waren sie erleichtert, selbständig geblieben zu sein, und sie hofften, nun werde es für sie besser werden. Mit den Bauern von der Genossenschaft redeten sie kein Wort. Sie würden ihnen nicht einmal guten Tag sagen, denn das seien keine Bauern, jedenfalls keine wie sie selbst, und von denen würde wohl nicht einer die Auflösung der Genossenschaft überstehen, da sie nicht gelernt hätten zu arbeiten. Sie waren davon überzeugt, dass diese Leute nach der Auflösung vom ›Morgenrot‹ ihre Höfe über kurz oder lang aufgeben und in der Maschinenfabrik nach Arbeit fragen müssten.
    Ein paar Wochen später hörte ich von Vater, dass der Sekretär für Landwirtschaft beim Rat der Stadt strafversetzt worden sei und dass man ihn vor Gericht stellen werde. Er habe im Bund mit anderen Funktionären des Landes, die ebenso wie er der ausländischen Propaganda aufgesessen seien, versucht, den Sozialismus auf dem Lande zu schwächen, und damit objektiv die Wiederherstellung des Kapitalismus begünstigt. In unserer Zeitung stand nichts darüber, aber das Gerücht machte seine Runde durch die Stadt, und verschiedene Leute versicherten Vater, es habe lautstarkeVersammlungen im Rathaus gegeben, und die Parteigruppen im Wohnbezirk und in der Maschinenfabrik seien zu erhöhter Wachsamkeit aufgefordert worden. Auf der Titelseite der Zeitung wurde nun wieder über die Erfolge der Genossenschaft berichtet, jeden Tag stand etwas über die Ernteschlacht darin, und die Genossenschaftsbauern bekamen wieder Prämien und wurden für die Zeitung fotografiert.
    An einem Abend kam Herr Griesel zu uns, was er bisher noch nie getan hatte, und saß mit Vater drei Stunden im Wohnzimmer. Mutter und ich blieben in der Küche, wir sollten die Männer nicht stören. Nachdem der Bauer gegangen war, erzählte uns Vater, dass die Genossenschaft ›Morgenrot‹ nicht aufgelöst würde. In Berlin sei eine neue Entscheidung gefallen, und jetzt sollten die Genossenschaften mit aller Kraft vergrößert und gestärkt werden. Vor allem jene privaten Bauern, die in den letzten Jahren immer ihr

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