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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Unterhose?«
    »So ist es.«
    »Auch während der Tage nicht?«
    »Weiß ich nicht. Ich habe Tante Bärbel einmal gefragt. Natürlich nicht so direkt, ich wollte ihr nicht sagen, dass sie mannstoll ist. Sie hat gelacht und zu mir gesagt, lass dir nie von keinem untern Rock schauen, und schon gar nicht von anderen Weibern.«
    »Das ist ja ekelhaft. Wenn ich mir vorstelle –, nee, ich könnte keinen Schritt laufen.«
    »Geht mir auch so. Und außerdem, wenn der Stoff ein bisschen reibt, das ist mir nicht eben unangenehm. Darum ziehe ich mir am liebsten noch eine Hose drüber.«
    »Und wenn man Treppen hochgeht oder auf einer Mauer entlang –, ich glaube, ich würde sterben.«
    »Klar. Und da kann man sich jede Menge Krankheiten holen. Das ist schließlich alles empfindlich. Frauen sind untenrum zart besaitet, das ist nicht so wie bei den Jungs. Wir müssen immerfort aufpassen und uns warm halten. Die Jungen stellen sich mit ihrem Piephahn sogar im Winter ins Freie, um zu pinkeln, wir Frauen könnten uns so den Tod holen.«
    »Ohne Hose! Das ist eine Schweinerei.«
    »Natürlich. Mannstoll, das ist wie eine Krankheit, man hat es, oder man hat es nicht.«
    »Und wie bekommt man das?«
    Auf diese Frage wusste Sylvie keine Antwort.
    »Hast du schon einmal, ich meine, mit einem Jungen –?«
    »Was denn?«
    »Na, du weißt schon?«
    »Geküsst?«
    »Nein, Mensch! Nicht nur geküsst.«
    »Du meinst, mit anfassen?«
    »Ja, mit anfassen und noch mehr. Die Ines, die in meiner Klasse war, die sagt, sie sei schon viel weiter gegangen. Sie ist keine Jungfrau mehr.«
    »O Gott! Stimmt das?«
    »Ich weiß nicht. Sie hat es gesagt. Und ihr macht es nichts aus, wenn die Jungen in der Klasse darüber reden. Ganz gemein reden die über sie, aber sie lacht und ist sogar stolz darauf.«
    »Vielleicht lügt sie.«
    »Vielleicht. Kann durchaus sein. Sie muss ja immer im Mittelpunkt stehen.«
    »Hat sie einen Freund?«
    »Muss sie ja wohl. Und mehr als einen. Küssen kann die jeder, das habe ich selbst gesehen.«
    »Ist sie krank?«
    »Krank? Wieso?«
    »Ich meine, ist sie mannstoll?«
    »Bestimmt.«
    »Du musst doch wissen, ob sie eine Unterhose trägt.«
    »Natürlich trägt sie eine Unterhose.«
    »Aber dann ...«
    Ich verstummte, weil ich nicht weiterwusste. Dass Frauen oder große Mädchen ohne eine Hose herumlaufen, wollte mir nicht in den Kopf. Dass sie das freiwillig machen, begriff ich schon gar nicht, und mannstoll war mir nicht so richtig klar, ich merkte, dass Sylvie keinen Deut mehr wusste als ich, und dass ich ebenso gut Mund und Augen fest schließen konnte und so tun, als wäre ich eingeschlafen, denn etwas Vernünftiges würde ich von ihr nicht erfahren. So richtig leiden konnte ich sie nicht, und mit jedem Mädchen wollte ich nicht die ganze Nacht durchquatschen.
    Wir hatten einen einzigen Kocher mit, um das Essen und den Tee zuzubereiten, oder vielmehr, um das Wasser zu erwärmen, denn wirklich heiß bekamen wir nicht einmal das Teewasser, und Kochen, das konnten wir vergessen. Der Kocher bestand aus einem hellen Aluminiumteil, auf den man den Topf setzen musste, und einem winzigen Tiegel in der Mitte des Kochers, auf den man weißliche Tabletten legte und mit einem Streichholz anzündete. Vielleicht war unser Topf zu groß, oder wir nahmen zu viel Wasser, oder das Ding war nicht für Camping geeignet, sondern ein Kocher für Puppenstuben, wo zwar alles richtig funktionierte, aber bei dem man nur so tat, als ob. Die Teeblätter mussten wir jedenfalls mit lauwarmem Wasser übergießen, und die Tütensuppen klumpten im Topf. Wir konnten noch so lange darin herumrühren, die Suppenstreusel lösten sich nicht auf, und wir bekamen eine dicke Paste zu kauen, die nach Maggi schmeckte, und dazu eine Kelle trübes Wasser. Nach drei Tagen weigerte ich mich, weiter davon zu essen, und kaufte mir stattdessen Brötchen, mit denen ich mich voll stopfte, bis ich pappesatt war. Dazu aß ich Augustäpfel, die Bernhard und Norbert organisierten. Nach Einbruch der Dämmerung zogen sie durch die Gärten und Obstplantagen und klauten, was sie tragen konnten. Ansonsten verbrachten wir den Tag am Strand und badeten oder lasen. Oder wir lagen am Tag in den Zelten und schliefen oder dösten vor uns hin. Spazieren gehen konnte man nicht. Die Jungen und Sylvie hatten keine Lust dazu. Ich wäre allein gegangen, doch abgesehen von der Autostraße und der Zufahrt zum See gab es rings um den Zeltplatz Kornfelder und Kartoffeläcker. Um den See führte

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