Landnahme
Baustelle, zwei Männer wohnten die Woche über in einem Bauwagen,der direkt am Fluss aufgestellt worden war und in dem sie sich Wasser warm machen und übernachten konnten.
Am späten Nachmittag liefen wir nun wieder zum Fluss, statt uns am Markt zu treffen, denn der Brückenbau brachte eine Abwechslung in unser Leben. Wir sahen den Arbeitern zu, die bis zum Beginn der Dämmerung an den Brückenfundamenten arbeiteten, um dann, ungewaschen und in ihrer dreckigen Kleidung, in den Bus zu klettern, der sie nach Hause bringen würde. Danach schauten wir den beiden verbliebenen Bauleuten zu, die ihr Abendbrot vor dem Waggon, in dem sie schliefen, einnahmen, Karten spielten und Bier tranken, wobei sie ein kleines Holzfeuer in einem Eisenkorb am Brennen hielten. Manchmal riefen sie uns etwas zu, wir sollten verschwinden oder unsere Schwester zu ihnen schicken, dann antworteten wir ihnen, aber meistens saßen wir in der Nähe des Bauwagens auf dem gestapelten Bauholz und den behauenen Steinquadern, unterhielten uns wie früher auf dem Marktplatz und beobachteten träge das Geschehen an der Baustelle und dem Wohnwagen.
Im Juni wurde die Stadt von Kartoffelkäfern heimgesucht. Eine Invasion von rotgelben, zentimeterlangen Käfern schwirrte in die Stadt ein und bedeckte die Straßen, Gehwege und Dächer. Von den Häusern leuchtete ein Teppich der schwarzgestreiften Flügeldecken herab, und die Sandwege und der Asphalt waren mit einem dünnen, gelblichen Brei der zertretenen Käfer bedeckt. Die Käfer waren erst nach dem Krieg in der Stadt aufgetaucht, seitdem kamen sie Jahr für Jahr im Mai und Juni, und die Pflanzen auf den um die Stadt liegenden Feldern waren mit den widerlichen Larven und Käfern bedeckt. Die Blätter der Feldfrüchte wiesen große Löcher auf, die von dieser Plage hineingefressen wurden, und die Schulkinder bekamen mehrere Tage schulfrei, um die Schädlinge von den Blättern abzusammeln und in Schraubgläser zu stecken und beieiner Sammelstelle abzugeben, wo man für jeweils zehn Käfer oder Larven einen Pfennig erhielt. Trotzdem vernichteten die Käfer in jedem Frühsommer ganze Felder und ließen verfaulende Kartoffeln im Erdboden zurück, die nur noch umgepflügt werden konnten. Da sich kein Mensch daran erinnern konnte, jemals vor dem Ende des Krieges Kartoffelkäfer gesehen zu haben, entstand in der Stadt die Meinung, sie seien mit den Flugzeugen der Alliierten gekommen und absichtsvoll über unserem Land ausgesetzt worden. Die Amerikaner hätten sie als Waffe gegen das Deutsche Reich eingesetzt, um mit einer dadurch bewirkten Hungersnot eine raschere Niederlage der Wehrmacht zu erzwingen. Woher sie immer kamen, sie blieben seit dem Krieg in keinem Jahr aus, und weder die chemischen Mittel zur Schädlingsbekämpfung, die in jedem Frühjahr von riesigen Tankfahrzeugen, an denen zwanzig Meter lange Gestänge montiert waren, reichlich über die aufkeimenden Pflanzen versprüht wurden, konnten den Blattfraß verhindern und den damit unvermeidlichen Ernteschaden noch die Horden von Schulkindern, die vergnügt und wie auf einem Schulausflug über die Felder zogen und sicherlich mehr Schaden als Nutzen anrichteten und denen die Kartoffelkäfer so willkommen waren wie ein heißer Sommertag, an dem nach der dritten Schulstunde alle nach Hause gehen konnten, oder wie die zusätzlichen Kälteferien, wenn der Kohlenkeller der Schule ausgeräumt war, das Schulhaus nicht beheizt werden konnte und der Schulleiter auf die neue Lieferung wartete. Aber bisher waren die Käfer in keinem Jahr in die Stadt gekommen, sie lagerten auf den Feldern rings um die alte Stadtmauer und hielten sie eingeschlossen wie ein feindliches Heer, das die Stadt zur Übergabe zwingen will.
Ende Juni aber, als sie schon über die Felder hergefallen waren, kamen neue Scharen und zogen sogar in die Stadt. Sie saßen dicht an dicht auf den Bäumen, sie krochen über die Straßen und Mauern, in den Vorgärten waren die Farbender Blüten nicht mehr zu erkennen, so gleichmäßig waren diese von den schwarzgelbgestreiften Käfern bedeckt. Die Hausfrauen sammelten sie tagtäglich von den Pflanzen in ihren Vorgärten ab, zertraten und verbrannten sie, um am nächsten Morgen nach einem Blick aus dem Fenster resigniert festzustellen, dass erneut die sorgsam und liebevoll gehegten Blumen und Stauden mit Schwärmen der gelbschwarzen Käfer überdeckt waren. Scheinbar reglos klebten sie eng nebeneinander auf den Blättern. Wenn sie gefressen hatten und
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