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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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den Adern, als ich die scharfen Zähne des Hundes vor mir sah und seinen Atem roch. Ich rührte mich nicht und versuchte, lässig zu grinsen, wobei ich meine Hände langsam zurückzog und in die Jackentasche steckte. Ich bemühte mich, den Blick von den gefletschten Zähnen und den Augen des Hundes zu lösen und mich unbeeindruckt zugeben, aber es gelang mir nicht, ich klebte förmlich an der spitzen Schnauze des Hundes, der heraushängenden Zunge, von der der Geifer troff, und den schmutzigen, gelben Zähnen des Tieres, die jetzt eine Handbreit von mir entfernt waren. Plötzlich sprach Bernhard den Hund an. Er sagte ›komm‹ oder ›komm her‹, streckte seine Hand nach ihm aus, und der Hund wandte seinen Kopf von mir ab, legte die Ohren an und sah zu Bernhard.
    »Komm, komm, komm«, sagte der wieder und machte mit der ausgestreckten Hand eine kraulende Bewegung, als würde er den Hals des Tieres streicheln. Der Hund knurrte leise, es klang nicht mehr bedrohlich. Bernhard beugte sich vornüber und streichelte nun tatsächlich die lange Nase des Hundes und das Fell zwischen den Ohren. Er strich über die Augen des Köters, die dieser genüsslich schloss, die Hinterläufe gaben nach, als wolle er sich hinsetzen. Barthel, der Polizist, riss an der Leine und herrschte seinen Hund an, das Tier richtete sich wieder auf, streckte seinen Kopf weiterhin Bernhard entgegen, um sich von ihm kraulen zu lassen. Mit dem Ende der Hundeleine zog Barthel ihm eine über das Hinterteil, der Hund jaulte kurz auf, dann schnappte er nach Bernhards Hand, der sie rechtzeitig zurückzog, der Hund schnappte erneut zu und biss Bernhard in die Wade. Bernhard schrie auf und sprang vom Geländer. In seiner Hose war ein Riss, er zog das Hosenbein hoch, es blutete nicht, aber die Hundezähne zeichneten sich deutlich sichtbar auf seiner Haut ab. Auch der Polizist war erschrocken. Er hatte den Hund zurückgezogen und hielt ihn jetzt am Halsband. Er schimpfte mit ihm und tätschelte dabei seinen Kopf. Wir hatten alle gesehen, dass er sein Vieh auf Bernhard gehetzt hatte. Bernhard rieb sich die Wade, dann untersuchte er den Riss in seiner Hose. Er streifte das Hosenbein runter, richtete sich auf und funkelte Herrn Barthel an, dunkel vor Wut.
    »Die Hose müssen Sie mir bezahlen.«
    »Die Hose und ein Schmerzensgeld«, sagte ich und stellte mich neben Bernhard.
    »Ich hatte euch gesagt, dass ihr von der Brücke verschwinden sollt. Ich hatte euch gesagt, es ist gefährlich. Und wenn ihr meinen Hund ärgert, dann schnappt der zu. Das hast du dir ganz allein zuzuschreiben. Ein abgerichteter Polizeihund, mit dem kannst du nicht umgehen wie mit einem Schoßhündchen, der ist immer gefährlich. Du hast die Hand nach ihm ausgestreckt, das ist für das Tier ein Angriff, da wehrt es sich.«
    »Sie haben ihn auf mich gehetzt. Der Hund war ganz ruhig. Ich habe ihn sogar streicheln können.«
    »Man streichelt keine fremden Hunde, jedenfalls nicht, wenn man bei Verstand ist. Mein Hund ist scharf, wenn er angegriffen wird, wehrt er sich.«
    »Sie haben ihn auf mich gehetzt.«
    »Quatsch. Hätte ich meinen Hund auf dich losgelassen, da wäre nicht viel von dir übrig geblieben, mein Junge. Er hat dich ein bisschen geknuppert, er ist verspielt. Du hast ja gesehen, es blutet nicht einmal.«
    »Die Hose ist hin. Die müssen Sie mir ersetzen.«
    »Deine Hose war schon vorher hin. Die ist völlig blank gewetzt, und der winzige Riss, der war sicher schon drin. Gar nichts werde ich dir bezahlen, überhaupt nichts. Ihr bekommt schon genug von der Stadt. Immerzu haltet ihr die Hand auf und lasst es euch vorn und hinten reinstecken, als ob wir auf euch gewartet hätten. Wer hat euch gerufen, zum Teufel! – Und nun haut ab, Kinder. Verschwindet von der Brücke. Du musst lernen, keine fremden Hunde zu reizen, jedenfalls keine, die gut abgerichtet sind. So etwas macht man bei uns nicht, das ist bei uns nicht üblich.«
    »Alle haben es gesehen. Sie haben den Hund auf mich gehetzt, er sollte mich beißen. Und die Hose werden Sie mir bezahlen müssen.«
    »Ja, was denn noch!«
    »Die Hose und ein Schmerzensgeld«, warf ich wieder ein.
    Der Hund starrte unverwandt auf Bernhard, der schien überhaupt keine Angst vor ihm zu haben, obwohl er gerade von ihm gebissen worden war. Bernhard schien sich mit diesen Mistviechern gut auszukennen.
    »Schluss jetzt. Mir reicht es«, sagte der Polizist, »Ende der Diskussion. Und ihr verschwindet von der Brücke, wie ich es euch gesagt

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