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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sprangen mit einem Satz auf den Laster und in die Baubude. Es war dunkel. Das einzige Fenster war mit einer Platte verstellt, wir mussten die Tür einen Spalt offen lassen, um etwas erkennen zu können. Rechts stand ein Regal mit großen Schubkästen, in denen Schrauben und Muttern lagen. Darüber hingen in Lederschlaufen die Werkzeuge, Schraubenschlüssel, Monierzangen, Kellen, Rohrzangen, Schlegel, Handzangen, Metallschneider, verschieden große Sägen und Hobel. In der Ecke lag ein ganzer Berg von gusseisernen Kupplungen. Links vor dem verschlossenen Fenster stand eine Werkbank, auf der kleinere Teile durcheinander lagen, auch eine Benzinlötlampe, die fast neu war.
    Bernhard und ich sahen uns an, dann inspizierten wir, jeder für sich, die vor uns liegenden Schätze. Bernhard war es, der damit begann, einen Stapel von Werkzeugen zusammenzustellen. Als ich es bemerkte, raffte ich ein paar Stücke zusammen.
    »Nimm nicht so viel«, sagte ich zu ihm, als sein Haufen immer größer wurde, »so viel kannst du nicht mitnehmen. Und ein zweites Mal können wir hier nicht auftauchen.«
    »Jaja«, erwiderte Bernhard und legte einen Gehrungswinkel auf seinen Stapel.
    Plötzlich pfiff er durch die Zähne. Ich sah zu ihm, er ging an die Tür und schaute sich um. Dann holte er unter der Werkbank einen Seilaufzug mit elektrischer Winde hervor.
    »Das wärs«, sagte er nur.
    »Die kriegst du hier nicht weg. Das Ding ist zu schwer. Und wie willst du es ungesehen durch die Stadt schleppen?«
    »Das wäre das Einzige, was ich brauche. Der Rest interessiert mich eigentlich nicht.«
    »Wenn der Apparat fehlt, stellen sie die Stadt auf den Kopf. Ich meine, wir nehmen ein paar kleine Sachen, dieihnen nicht gleich fehlen werden. Da werden sie herumsuchen und irgendwann neue bestellen. Einen Elektromotor aber, den werden sie nicht so leicht verschmerzen.«
    »Das sollen sie auch nicht, ich will ihnen eine Lehre verpassen, die sie nicht vergessen. Ich versteck das Ganze und hole es erst raus, wenn die Brücke fertig ist und die Arbeiter verschwunden sind. In ein paar Monaten sucht keiner mehr nach dem Motor.«
    »Nein. Vergiss es. Nimm dir die anderen Sachen und lass uns verschwinden.«
    Ich stopfte mir die Taschen voll, die Lötlampe klemmte ich unter der Joppe zwischen Arm und Körper. Ich sprang aus dem Wagen und lief probeweise ein paar Schritte. Der sperrige Apparat drückte gegen meine Rippen, doch ich konnte mit ihr laufen, und in den Taschen klapperte nichts. Als ich mich umwandte, stand Bernhard vor dem Lastwagen und zog die Winde heraus. Er rief mir zu, ich solle ihm helfen, ich schüttelte den Kopf und blieb stehen. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, lud er sich den Motor auf den Rücken, die Radaufhängung hielt er in der Hand, das Stahlseil hatte er in der Bude gelassen. Ich schüttelte den Kopf und ging los, hinter mir hörte ich Bernhard keuchen. Auf der Böschung wartete ich, bis er den Motor hochgezogen hatte.
    »Und was jetzt? Wo willst du mit dem Ding hin? Am besten, du schmeißt es hier einfach die Böschung runter und wir verschwinden.«
    Bernhard lud sich den Motor wieder auf den Rücken und lief in Richtung der Flutwiesen. Er wollte wohl zu dem Wäldchen von Korsitzke, um den Apparat dort zu verstecken. Ich folgte ihm, weil ich herausbekommen wollte, was er vorhatte. Außerdem wollte ich nicht direkt in die Stadt zurück, um nicht den Arbeitern in die Hände zu laufen, die irgendwann zu ihrer Baustelle zurückkehren würden. Als wir schon ein paar hundert Meter gelaufen waren, legte Bernhard den Motor ins Gras. Ich dachte, er wollte einePause machen. Als ich zu ihm trat, sagte er, dass einer von uns zurückgehen müsse, um die Schachtel mit den Kartoffelkäfern zu holen. Sie würde uns verraten, denn die Arbeiter wüssten dann, wer in ihrer Abwesenheit die Baubude geplündert habe. Ich hatte keine Lust, nochmal auf den Bauplatz zu gehen, aber ich wollte nicht neben seinem Motor auf ihn warten.
    »Na geh schon«, sagte ich schließlich, »ich pass hier auf.«
    Nach einer halben Stunde kam er zurück und sagte, es sei alles in Ordnung, und ich müsse mir keine Sorgen machen.
    »Ich mache mir keine Sorgen«, erwiderte ich, »es ist nur so, dass du etwas verrückt bist, Junge.«
    Bernhard sah sich wütend nach mir um. Für einen Moment dachte ich, er würde mich schlagen, dann nahm er den Motor auf und lief weiter. Er versteckte den Apparat in der Wurzel eines umgekippten Baumes. Er streute altes Laub und abgebrochene

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