Landnahme
das Blatt nur noch aus großen Löchern bestand, ließen sie sich auf den Erdboden fallen, blieben dort stundenlang reglos liegen, um dann, wenn man sie nicht totgetreten hatte, zu ihrem nächsten Fressplatz zu fliegen. Es war wie eine Invasion. Immer wieder hörte man ein hysterisches Aufschreien von den Frauen oder den kleinen Kindern, wenn ein Käfer in ihrem Haar oder Gesicht landete oder sie versehentlich einen Kartoffelkäfer mit der bloßen Hand zerdrückten und nun den ekligen Brei auf ihrer Haut hatten. Die Stadtverwaltung klebte Zettel an die vier Litfaßsäulen der Stadt und an Telegrafenmaste, um die Bürger über das richtige Verhalten zu informieren. Bereits am dritten Tag waren die Zettel nicht mehr zu lesen. Die Käfer hatten sich darauf niedergelassen und waren auf ihnen zerquetscht worden, so dass man nicht mehr die unnützen und hilflosen Ratschläge des Bürgermeisters lesen konnte, der sich über Hygiene und Wachsamkeit ausließ, weil er nicht wusste, was gegen die Käferplage zu tun war.
Die Brückenbauer schimpften den ganzen Tag über. Sie drohten, die Arbeit abzubrechen und in ihre Heimatstadt zu fahren. Sie fürchteten sich vor den Käfern, sie hatten Angst, von ihnen mit irgendetwas angesteckt zu werden und sich eine Krankheit zu holen. Wir lachten über sie und sagten ihnen, dass es eigentlich harmlose Käfer seien, dumm und träge, die lediglich Blätter fressen und vor denen man sich nicht fürchten müsste. Sie würden die halbe Ernte wegputzen,was die Brückenbauer kaum interessieren dürfte, davon abgesehen seien sie völlig ungefährlich. Einer der Bauarbeiter hörte mir misstrauisch zu, dann sprang er plötzlich auf und trat mit seinen schweren Arbeitsschuhen auf den toten Käfern herum, die vor ihm auf der sandigen Erde lagen. Wir kugelten uns vor Lachen.
Ich setzte mir zwei der Käfer auf die Handfläche und stocherte mit einer Tannennadel, um sie dazu zu bringen, miteinander zu kämpfen, sie bewegten sich vor Schreck überhaupt nicht und ich schnipste sie in die Luft.
»Sie sind sehr nahrhaft«, warf Bernhard plötzlich ein, »viele Vitamine und Aufbaustoffe.«
»Von was redest du, Junge?«
»Man kann die Käfer essen. Sie schmecken nicht schlecht. So ein bisschen wie Huhn. Man muss sie in Öl braten, etwas Salz und Pfeffer dazu, dann ist das eine leckere Mahlzeit.«
Ich sah Bernhard an, er verzog keine Miene, und ich wusste nicht genau, ob er es ernst meinte oder sich über die Bauarbeiter lustig machen wollte.
»Das ist ja das Ekelhafteste, was ich je gehört habe«, sagte einer von ihnen und schüttelte sich, »ich kann es einfach nicht glauben.«
»Fall nicht auf diesen dummen Jungen rein. Er will dich auf den Arm nehmen, Karl.«
»Es ist die reine Wahrheit. Probieren Sie es nur. Sie werden mir für den Tipp noch dankbar sein.«
»Hau endlich ab, du kleine Kröte. Einen alten Mann auf die Schippe nehmen wollen. Hau ab.«
»Es ist wahr. Glauben Sie mir. Etwas anbraten und ein bisschen Salz und Pfeffer, mehr braucht man nicht. Und am leckersten sind sie, wenn man sie lebend in die heiße Pfanne schmeißt. Dann werden sie besonders knusprig.«
»Verschwinde, du kleiner Bastard, eh mir die Hand ausrutscht. – Nein, solch ein Bengel. Den müsste man mal übers Knie legen.«
Wir verzogen uns, denn wenn auch die meisten der Männer lachten, war einer von ihnen so gereizt, dass wir unsicher waren, ob er nicht tatsächlich handgreiflich werden würde. Einer von uns fragte Bernhard, ob sie denn tatsächlich die Käfer essen würden, und ich sagte zu ihm, er solle seinen Mund halten. Wir liefen zur Straße hoch und sahen den Arbeitern von oben zu. Ich stellte mich neben Bernhard und nickte ihm zu.
»Hast du gut gemacht.«
»Naja«, sagte er nur, »das sind Idioten. Haben vor kleinen Käfern Angst. Wie Mädchen oder Babys.«
»Die sind halt aus der Stadt. Dort kennt man so was nicht.«
»Trotzdem. Wie kann man so blöd sein.«
»Vielleicht probieren sie dein Rezept.«
»Dämlich genug wären sie. Vielleicht sollten wir ihnen eine kleine Überraschung bereiten.«
»Was meinst du, Bernhard?«
»Ich weiß nicht. Irgendetwas mit den hübschen kleinen Käfern.«
Er grinste und kniff die Augen zusammen.
»Was denn?«
»Lass uns überlegen. Hier müsste etwas zu machen sein.« Er wies mit einer alles umfassenden Handbewegung auf die Brückenbaustelle.
Dann sagte er halblaut: »Was immer uns einfallen sollte, wir sollten es allein machen. Falls es Ärger gibt, verstehst
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