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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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ich die Tür schon geöffnet hatte, drehte ich mich zu ihr um und sagte: »Ich habe es mir überlegt, du musst dir keine andere Wohnung suchen. Ihr könnt von mir aus hier wohnen bleiben.«
    Gitti strahlte und kam auf mich zu, und ich ging rasch hinaus, weil ich nicht mit ihr reden wollte. Nach der Frühstückspauseging der Meister gewöhnlich ins Büro, um die Bestellungen zu schreiben und die Rechnungen. Ich ging ihm hinterher, klopfte einmal an die Tür und ging dann hinein. Ich setzte mich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch und wartete, bis er aufsah und mich fragend anblickte.
    »Was gibts denn, Koller?«
    »Ich kündige, Meister.«
    »Tu mir das nicht an, Junge. Du bist mein bester Mann. Den anderen muss ich jeden Handschlag erklären. Du hast nicht nur zwei geschickte Hände, du hast auch einen Kopf dazu.«
    »Ich geh.«
    »Junge! Nun mach mal halblang. Wo juckt es denn? Bekommst du zu wenig Geld? Willst du mit mir über eine Zulage sprechen?«
    »Nein. Das ist es nicht.«
    »Wir beide kommen gut miteinander aus, Koller. Nein, eine Kündigung von dir akzeptiere ich nicht. Ist abgelehnt. Hast du verstanden?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Koller, du kannst mich nicht im Stich lassen. Ich brauche dich, das weißt du.«
    »Es geht nicht, Chef. So geht es nicht weiter.«
    »Wovon redest du? Sag, was du auf dem Herzen hast, und ich kläre das für dich.«
    »Es ist wegen Gitti. Sie hat mich zum Gespött der ganzen Stadt gemacht.«
    »Ach, das ist es nur. Vergiss das einfach. Red mit ihr, vielleicht kommt ihr miteinander klar. Oder geht eurer Wege. Darum musst du nicht gleich die Stadt verlassen.«
    »Es ist entschieden, Meister. Ich halt es hier nicht mehr aus. Jeder weiß Bescheid, jeder lacht über mich. Es ist entschieden, ich geh.«
    »Schade, mein Junge. Doch ich versteh dich. Und wahrscheinlichhast du sogar Recht. Dieses dumme Ding hat alles kaputtgemacht. Hat ihr Leben ruiniert, die blöde Trine, hat dich geärgert, und mir nimmt sie den besten Mann weg. Wann willst du gehen, Koller? Diesen Monat? Bleib bis zum Quartalsende, dann habe ich Zeit, einen Ersatz zu finden.«
    »Ich will gleich gehen. Heute noch. Heute Abend reise ich ab.«
    »Was denn, was denn! So geht das nicht.«
    »Ich pack meinen Koffer und geh. Die Klamotten lasse ich alle ihr.«
    »Na, das ist großzügig gehandelt, mein Lieber, alle Achtung. Nach dem, was sie dir angetan hat.«
    »Ihr wirds dreckig genug gehen. Machen Sie mir die Papiere fertig. Wenn Sie nicht anders wollen, lasse ich mich krankschreiben und verschwinde.«
    »Schön. Komm am Nachmittag noch mal zu mir. Oder eine Stunde vor Feierabend. Ich kümmere mich um die Papiere. Ich will dir keinen Stein in den Weg legen.«
    »Danke, Meister.«
    Als ich das Büro verließ, rief er mich nochmals zurück.
    »Koller! Falls du es dir anders überlegst, oder falls du dich später anders entscheidest, bei mir findest du immer Arbeit. Nur, dass du das weißt.«
    »Danke. Ich glaube nicht ...«
    Er lächelte mir aufmunternd zu, und ich ging zu dem aufgebockten Wagen, den ich bis zum Feierabend fertig machen wollte.
    Als ich nach Hause kam, war der Tisch im Wohnzimmer gedeckt, als hätte jemand Geburtstag. Sogar eine brennende Kerze stand auf dem Tisch. Gitti hatte mich gründlich missverstanden, sie glaubte, ich würde bei ihr bleiben. Ich ging auf den Dachboden, holte unseren Koffer aus dem Verschlag, ging in unser Schlafzimmer und packte meine Sachen ein. Gitti kam mit dem Kleinen ins Zimmer, jetztverstand sie endlich. Sie fragte, ob ich noch etwas wolle. Ich schüttelte den Kopf.
    »Das wars dann wohl?«, fragte sie.
    Ich packte einfach weiter ein. Als ich damit fertig war, ging ich durch die Wohnung und schaute in den Keller. Dann brachte ich den Koffer und die beiden Taschen zum Auto. Ich ging noch einmal zurück, um meine Schallplatten zu holen und den Plattenspieler. Als ich die Wohnung endgültig verlassen wollte, versperrte mir Gitti den Weg. Sie hielt den Kleinen auf dem Arm und sagte: »Willst du dich nicht wenigstens von Wilhelm verabschieden?«
    Ich stellte den Plattenspieler auf den Hocker im Flur.
    »Der ist für Wilhelm«, sagte ich nur.
    Dann ging ich an ihr vorbei, die Treppe hinunter und zu meinem Wagen. Ich fuhr ganz langsam aus Naumburg raus und schaute mich gründlich um. Diese Stadt würde ich nie wieder betreten. Sicherlich würde man in der Werkstatt und in der Stadt ab und zu über mich reden, doch das Einzige, woran man sich nach ein paar Monaten bei

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