Landnahme
gewesen, und ich hatte mir vorgenommen, irgendwann einmal für immer nach Berlin zu ziehen, und jetzt hatte ich die Gelegenheit. Bei der Tante wollte ich mich nicht melden, ich hatte keinen Kontakt zu ihr, und die Erinnerung an die Beerdigung, bei der ich von ihr unentwegt abgeküsst worden war, verbot mir, nur einen Augenblick daran zu denken, bei ihr zu wohnen.
Ich hatte mehrere Adressen von Bekannten in Berlin, die ich bei meinen Fahrten an die Ostsee kennen gelernt hatte. Fast alle hatten gesagt, ich solle sie unbedingt besuchen, wenn ich mal in ihre Stadt käme, und mir angeboten, bei ihnen wohnen zu können. Als ich ankam, hielt ich an einer Post, ging in eine der Telefonzellen und rief die Nummern an, die in meinem Notizbuch standen. Dreimal meldeten sich Frauenstimmen, die mir sagten, dass ihr Sohn nicht mehr bei ihnen lebe, sie konnten mir keine Telefonnummern geben, sondern nur die Adresse. Beim vierten Anruf erreichte ich einen der Bekannten, er konnte sich an mich nicht mehr erinnern, und als ich fragte, ob ich bei ihm übernachten könne, erklärte er umständlich, dass es momentan unmöglich sei, weil die Wohnung renoviert werde. Bei den restlichen drei Nummern meldete sich niemand, vielleicht waren die Leute auf Arbeit. Ich suchte nach einem kleinen, nicht zu teuren Hotel, aber wo ich auch fragte, nirgends gab es freie Zimmer. Dann fuhr ich zu einer der Adressen von den Bekannten, die zu Hause ausgezogen waren.
Es war eine üble Hinterhofwohnung im Erdgeschoss. Die Mülltonnen auf dem Hof waren mit Gerümpel umstellt, das dort offenbar schon Jahre lagerte und die kleine Grasfläche völlig überdeckte. An den Hauswänden waren Spurenvom früheren Putz zu sehen, und die Haustür war verzogen und schrammte über die Fußbodenkacheln. An den Türen gab es keine angeschraubten Namensschilder, die Namen der Mieter waren mit Farbe einfach auf das Türblatt gemalt worden. Sebastian, mein Bekannter von Rügen, öffnete nach mehrmaligem Klingeln die Tür, die Musik in seiner Wohnung dröhnte so laut, dass er das Klingeln kaum hören konnte. Er erkannte mich sofort, zog mich in die Wohnung und stellte mir seine neue Freundin vor, die in Unterwäsche auf dem Sofa saß, kurz zu mir aufschaute und sich dann wieder ihrer Musik widmete. Als ich Sebastian fragte, ob ich bei ihm übernachten könne, nickte er, als sei das selbstverständlich. Da er eine Ein-Zimmer-Wohnung besaß, bot er mir an, entweder mit ihnen im Wohnzimmer zu übernachten oder auf einer Matratze in seiner Küche. Ich sagte, ich wolle ihm keine Umstände machen, würde jedoch gern für eine Woche in Berlin bleiben, weil ich mich nach einer Arbeit umsehen wolle. Wenn es ihm recht sei, würde ich gern die paar Tage in seiner Küche schlafen, da ich kein Hotelzimmer bekommen habe. Zu allem, was ich sagte, nickte er und sagte gleichmütig, es sei kein Problem. Im Flur zeigte er mir eine Ecke, wo ich meine Sachen hinstellen könne. Einen Schlüssel könne er mir nicht geben, er habe nur einen einzigen.
»No problem«, sagte er, »wer als Letzter die Wohnung verläßt, schließt ab und hinterlegt den Schlüssel bei Kurtchen. Das ist der Kneiper gegenüber. Der hat immer offen. Jedenfalls wenn ich aufstehe, ist seine Kneipe schon geöffnet, und nach Mitternacht musst du an den Rolladen klopfen, dann lässt er dich rein. Das mache ich schon jahrelang so, geht in Ordnung, ich brauch keine weiteren Schlüssel. Und Kurtchen gebe ich Bescheid, dass er dir den Schlüssel geben soll. Für die Haustür habe ich gar keinen Schlüssel, die ist meistens offen, und wenn nicht, musst du kurz dagegen drücken, no problem.«
Er drückte mir den Schlüssel in die Hand, damit ich meine Sachen holen gehe, setzte sich zu seiner Freundin auf das Sofa und fummelte an ihr herum. Ich holte eine der Taschen aus dem Auto und den Koffer, in den ich die Bettwäsche und ein Kopfkissen gepackt hatte. Als Sebastian mich damit sah, stöhnte er und fragte, ob ich wirklich bloß eine Woche bleiben wolle und was ich denn mit mir herumschleppe, denn für eine Woche würden eine Zahnbürste und eine Unterhose ausreichen. Ich erzählte ihm kurz, dass ich eben bei meiner Freundin ausgezogen sei und alles, was ich besitze, im Auto habe. Dann verabschiedete ich mich, weil ich in die Stadt wollte. Er hatte schon wieder eine Hand in der Hose seiner Freundin und machte eine Kopfbewegung, die sein Einverständnis signalisieren sollte.
In der Woche ging ich jeden Abend ins Kino. Morgens ging ich
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