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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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Haus.«
    »Natürlich nicht. Du bist ja noch selber zugange.«
    »Ja. Und zwar immerzu. Jeden Tag.«
    »Oder jede Nacht.«
    »In der Nacht musst du aufpassen. Sonst gibts eine Pigmentverschiebung.«
    »Das ist das Blödeste, was ich je gehört habe.«
    »Selber blöd.«
    »Pigmentverschiebung! Na, damit müsste mir meine Olle kommen. Der würde ich was verschieben.«
    »Kommt immerzu vor.«
    »So? Habe ich nie gehört.«
    »Du weißt vieles nicht.«
    »Wie soll denn das gehen, das verrat mir mal!«
    »Kommt tatsächlich immerzu vor. Wenn ein Nigger seinen Schwanz bei deiner Alten reinschiebt, gibts eine Pigmentverschiebung, verstehst du.«
    »Das habe ich mir auch so gedacht. Aber lass meine Alte aus dem Spiel, hörst du, sonst verpass ich dir eine. Meine Alte ist nämlich kein Flittchen, die mit anderen rummacht. Und schon gar nicht mit Niggern.«
    »Sehr komisch«, sagte ich, »sehr, sehr komisch.«
    Ich stand auf, ging an den Tresen, bezahlte mein Bier und ging nach Hause. In meine Wohnung. Denn das war sie noch immer, meine Wohnung. Gitti war hier als Gast eingezogen,sie und ihr Balg wohnten hier zur Untermiete, und ich konnte sie jederzeit raussetzen.
    Gitti wusch Windeln in der Küche. Mit einem langen Holzlöffel stieß sie die nach oben treibenden Moltontücher immer wieder in die brodelnde Brühe. Ich holte mir eine Bierflasche aus dem Keller, setzte mich ins Wohnzimmer und legte eine Schallplatte auf, die ich von einem Kunden bekommen hatte, amerikanischer Rock ’n’ Roll. Gitti kam ins Zimmer und bat mich, die Musik leise zu stellen, das Baby würde schlafen. Ich verschob den Regler ein wenig, solche Musik kann man nicht leise hören. Sie blieb im Zimmer stehen und sah mich an, ich nahm eine Zeitschrift und blätterte darin.
    »Und was ist nun?«, fragte sie schließlich, »ich vermute, mit Heiraten ist nichts mehr, oder?«
    Ich zündete mir eine Zigarette an, obwohl sie das nicht leiden konnte und ich, seitdem das Baby im Haus war, nie mehr in der Wohnung geraucht hatte.
    »Ich denke, du solltest dich langsam nach einer Wohnung umgucken«, sagte ich nachlässig und ohne meinen Blick von der Zeitung zu heben, »oder besser, sehr schnell.«
    »Verstehe. Doch ein bisschen wird es dauern. Ich habe nicht deine guten Verbindungen zum Wohnungsamt. Und ich vermute, du wirst bei deinem Freund dort kein Wort für mich einlegen.«
    »Sicher nicht. Du kannst ja zu deinen Eltern ziehen. Oder zu dem Kindsvater. Der wird dir ja gefallen. Und er wird vielleicht von deinem Baby begeistert sein. Oder ist er schon über alle Berge? Hat er dich sitzen lassen? Hat das Weite gesucht, als du den dicken Bauch hattest?«
    »Überlege es dir gut, Koller. Wenn ich gehe, gehe ich für immer. Dann hast du mich das letzte Mal gesehen. Willst du das wirklich?«
    »Weiß der Himmel.«
    »Und das Baby? Du hast den kleinen Wilhelm doch auch gern.«
    »Verschwinde, Gitti. Verschwinde mit dem kleinen Nigger. Ich möchte, dass ihr beide morgen Abend hier raus seid.«
    »So schnell wird das nichts.«
    Sie ging raus und knallte die Tür, obwohl ihr Baby schlief. Ich trank das Bier aus und legte mich zum Schlafen auf das Sofa im Wohnzimmer, ich machte kaum ein Auge zu. Die lachenden Gesichter in der Kneipe, die verwunderten Blicke der Bekannten, die einen Blick in den Kinderwagen geworfen hatten, Gittis dreistes Lächeln und der kleine Krauskopf, der schwarze Balg, tanzten vor meinen Augen und in meinem Kopf. Als ich mich beruhigt hatte, sagte ich mir, dass ich auch so spotten würde, wenn es einen anderen getroffen hätte. Die Jungen waren schon in Ordnung, sie waren nicht mein Problem. Das Problem lag hier, in meiner Wohnung, ein Zimmer weiter, und es würde nie aufhören, es würde sich nicht mit der Zeit erledigen, ganz im Gegenteil, es würde langsam immer größer werden, und ich hätte ein Leben lang damit zu tun, müsste Erklärungen abgeben, hätte erstaunte Fragen zu beantworten und anzügliche Bemerkungen hinzunehmen. Und Gittis dummer Versuch, mich zu täuschen, diese alberne Pigmentverschiebung, auf die ich reingefallen war und von der ich jedem erzählt hatte, man würde sie mir nie vergessen, nicht in dieser Stadt. Ich hatte kein Wahl mehr, und in der Nacht entschied ich mich.
    Als ich mein Frühstück machte, kam Gitti mit dem Kleinen auf dem Arm in die Küche und sah mir zu. Ich packte die geschmierten Schnitten in meine Blechbüchse, goss den kochend heißen Tee in die Thermosflasche und steckte beides in meine Tasche. Als

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