Landnahme
solle das nur tun, wenn ich mich unbedingt lächerlich machen wolle. Jedenfalls wusste sie auf alles eine Antwort, und ich war ratlos. In den Tagen danach stand ich stundenlang am Bett von dem Baby. Ich hatte Kinderfotos von mir herausgekramt und verglich sie mit ihm, das half mir nicht weiter. Das Baby konnte ebenso von mir sein wie von irgendeinem anderen Mann. Als mich Gitti einmal dabei erwischte, wie ich eins meiner alten Fotos neben das Gesicht von dem Baby hielt, lachte sie auf. Richtig schlimm wurde es erst, als wir mit dem Kinderwagen durch die Stadt liefen. Alle möglichen Leute wollten das Baby sehen, und wenn sie es erblickt hatten, machten sie alle ein komisches Gesicht. Ich erzählte dann immer etwas von einer Pigmentverschiebung, und sie hörten mir zu, doch einige, das konnte ich deutlich sehen, hatten Mühe, ihr Lachen zu verkneifen. Ich sprach mit meinem Meister darüber, mit dem ich gut zurechtkam, weil ich besser war als alle anderen in der Werkstatt. Er sagte mir, er habe schon davon gehört, und ich solle mich nicht verrückt machen lassen. Vielleicht sei es wirklich eine Pigmentverschiebung und würde sich eines Tages legen.
»Es gibt eine einfachere Erklärung, eine natürlichere, und das kann dir deine Gitti sagen«, sagte er schließlich, »wie auch immer, du hast jetzt ein nettes Baby, und es ist dein Kind, ganz egal, was die Leute reden.«
Nach diesem Gespräch hielt ich es nicht mehr aus und fuhr nach der Arbeit ins Krankenhaus. Ich fragte nach demArzt, der die Entbindung gemacht hatte und bei der Entlassung dabei war. Ich musste zwei Stunden warten, dann hatte er eine Minute Zeit für mich. Ich fragte ihn, was mit dem Baby los sei und mit dieser Pigmentverschiebung. Er überlegte sehr lange und sagte dann, die Hautfarbe würde sich nicht mehr wesentlich ändern, und ich müsste davon ausgehen, dass wir ein farbiges Baby haben.
»Aber wie ist das möglich?«, fragte ich ihn.
Er zuckte mit den Schultern, zögerte lange und sagte dann: »Sie sollten vielleicht einmal in Erwägung ziehen, dass Sie nicht der leibliche Vater sind.«
Ich schluckte, obwohl ich eigentlich alles schon längst begriffen hatte.
»Und eine andere Erklärung gibt es nicht?«
Er schüttelte den Kopf und sagte: »Sie könnten einen Test machen, wenn Sie unbedingt wollen, eine Blutprobe. Doch die können Sie sich sparen.«
»Und was ist mit der Pigmentverschiebung?«
Er lächelte nur, schüttelte den Kopf und sagte, er müsse nun wieder in den Kreißsaal gehen.
Auf der Heimfahrt wurde mein Wagen immer schneller, so dass ich schließlich anhielt, um mich zu beruhigen. Es war schon dunkel, und da Nebelstreifen über der Straße hingen, konnte man keine hundert Meter weit sehen. Ich ließ die Scheinwerfer an und setzte mich in den Straßengraben. Als die Feuchtigkeit durch die Kleidung drang, holte ich mir die alte Decke aus dem Kofferraum. Die Nebelschwaden waberten langsam hin und her, als könnten sie sich nicht entscheiden. Sie hüllten die Stämme der Alleebäume ein, nur die laublosen Kronen waren zu sehen, sie schwammen auf dem trüben Grau und sahen aus wie kahle Sträucher auf einem Bergabhang. Ich beschimpfte mich und lachte über mich selbst. Alle wussten Bescheid, bloß ich nicht, weil ich es nicht hatte sehen wollen. Ich fragte mich, ob die Pigmentverschiebung ein Einfall von Gitti war oderihr jemand im Krankenhaus diesen Tipp gegeben hatte. Immer wieder schüttelte ich den Kopf über mich. Du läufst mit zwei prächtigen Hörnern herum, sagte ich mir, das ist schon ein richtiges Geweih, mein Lieber. Und Gitti und das Baby haben dafür gesorgt, dass es für alle sichtbar ist. Keiner in der Stadt würde es übersehen, und wahrscheinlich haben sie es schon alle gesehen, und ich bin Stadtgespräch geworden und war der Einzige, der nichts davon mitbekam. Du bist wirklich ein Idiot, wie er im Buche steht, sagte ich laut.
Ein Fahrzeug näherte sich und bremste. Langsam fuhr es an meinem Auto vorbei ohne anzuhalten. Ich stand auf, stieg in den Wagen und fuhr nach Hause. Gitti war mit dem Säugling beschäftigt, mit ihrem Säugling, nicht mit meinem. Das kleine Baby gefiel mir, ich hatte es schon fast ein wenig ins Herz geschlossen, nun hatte sich alles für mich verändert. Ich konnte den kleinen Balg nicht angucken, ohne dass mir die Galle hochkam. Ich hatte keine Lust, wildfremde Kinder aufzuziehen, ich wollte nicht für so einen Dreikäsehoch aufkommen, mit dem ich nichts zu tun hatte, aber auch gar
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