Landnahme
Dutzendmodell durch die Landschaft zu fahren, um den Motor zu hören und das Schalten des Getriebes zu spüren.
Ich denke heute ab und zu an den Adler, häufiger jedenfalls als an Gitti und ihren Spross, der inzwischen ein Mann geworden sein müsste, ein Mann, der seinen Vater nie kennen gelernt hat. Der Junge hatte es gewiss nicht einfach.Ohne einen Vater aufzuwachsen und eine Mutter wie Gitti zu haben, da hat man für sein Leben die Arschkarte gezogen, und wenn man dazu noch sein Leben mit einer Pigmentverschiebung zu verbringen hat, heute kann ich schon darüber lachen, dann hat man ein Spiel in der Hand, das man besser zurückgeben sollte, schlechter können die Karten beim nächsten Mal auf keinen Fall sein. Wenn mir einer Leid tun sollte, dann könnte ich zuallererst an mich selbst denken, denn was dann später über mich hereinbrach, das habe ich Gitti zu verdanken. Für Wilhelm und mich war dieses Mädchen eine Katastrophe.
Bis zum Jahresende waren es zwölf Tage. In der Zeit wollte ich mich nach einer Arbeit umsehen und ein paar alte Freunde besuchen. Natürlich wollte ich ihnen meinen Wagen zeigen, und ich wollte sie sehen und sprechen, ich wollte mit Menschen zusammen sein, die nichts von Gitti und Wilhelm wussten und bei denen ich, wenn sie irgendeine Bemerkung machten oder grinsten, nicht beständig vermuten musste, dass sie sich über mich und das Negerbaby lustig machen.
Die erste Woche verbrachte ich in Berlin. Ich war bisher erst einmal in meinem Leben in der Hauptstadt. Als ein Onkel von uns starb, fuhr die ganze Familie für ein verlängertes Wochenende zu ihm. Wir wohnten in einer Familienpension gegenüber dem Museum für Naturkunde. Die Beerdigung war an einem Freitag, wir gingen auf den Friedhof und danach in eine Gaststätte, wo wir bis in die Nacht blieben. Ich kannte den verstorbenen Onkel nicht, und seine Witwe, meine Tante, bekam ich damals zum ersten Mal zu sehen. Es war mir unangenehm, von der heulenden Frau immer wieder umarmt und geküsst zu werden, und bei einer passenden Gelegenheit sagte ich meiner Mutter, dass ich mir etwas die Füße vertreten wolle und verschwand für zwei Stunden, um mir die Umgebung anzusehen und die Schaufenster der Geschäfte.
An den folgenden zwei Tagen fuhr ich mit meinem Vater und den Geschwistern mit der U-Bahn nach Westberlin, Mutter musste den ganzen Samstag bei der Tante und der Verwandtschaft bleiben und konnte erst am Sonntag mit uns durch die Stadt fahren.
Am Samstag liefen wir zuerst durch viele Geschäfte, Vater kaufte ein paar Kleinigkeiten für die Küche und seine Werkstatt, für uns konnte er nichts kaufen, weil er dafür zu wenig Geld hatte. Mehrmals ermahnte er uns, nicht alles anzufassen, damit nichts kaputtgehe, was er dann zu bezahlen hätte. Mir gelang es, obwohl Vater uns unentwegt auf die Finger sah, einen Kugelschreiber zu stehlen. Es war ein dicker Stift in einem Plastikgehäuse, eine Frau in einem hochgeschlossenen schwarzen Abendkleid war darauf zu sehen, und wenn man den Stift umdrehte, floss die dunkle Farbe nach unten und die Frau stand plötzlich in einem Bikini da. Am Nachmittag sahen wir uns ein neu errichtetes Hochhausviertel inmitten der Stadt an, über das viel im Radio gesprochen wurde. In den Hochhäusern wohnte keiner, man konnte hineingehen, mit dem Fahrstuhl nach oben fahren, sich die Wohnungen ansehen und einen Blick über die Stadt werfen. Dann gingen wir in ein Kino und sahen irgendeinen Film an, der sehr lustig war, ich habe vergessen, wie er hieß und worum es da ging. Ins Kino gingen wir nur, weil Vater das bezahlen konnte. Er musste seinen Ausweis vorzeigen und wir konnten mit unserem Geld bezahlen, mit Ostgeld, das in den anderen Geschäften in Westberlin nicht angenommen wurde oder zu einem Wechselkurs, der für uns alles unerschwinglich teuer machte. Nach dem Kino versuchten wir Vater zu überreden, in ein anderes Kino zu gehen, wir wollten es mit unserem Taschengeld bezahlen. Vater sagte, wir würden von der Tante erwartet werden und müssten zurückfahren. Ich weiß noch, dass wir bei der Tante ganz viel gegessen haben, weil wir den Tag über von mitgenommenen Schnitten gelebt hatten.
Am Sonntag sahen wir uns mit Mutter die Schaufenster an und gingen ins Rundfunkmuseum, das mir viel besser gefiel als das Naturkundemuseum. Dann gingen wir noch einmal ins Kino, weil Mutter in einem amerikanischen Film eine ihrer Lieblingsschauspielerinnen sehen wollte. Es waren damals zwei aufregende Tage für mich
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