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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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nichts, und bei dem ich in jedem Moment, wenn ich ihn sah, daran erinnert wurde, dass da irgendjemand der Vater war, doch ganz gewiss nicht ich. Der winzige Wurm hatte gewiß einen Vater, den er nie zu Gesicht bekommen würde, und ich konnte und wollte ihn nicht ersetzen. Das musste er mit seiner Mutter ausmachen, die die Einzige war, die hier Bescheid wusste und es zu verantworten hatte. Der kleine Wurm tat mir Leid, und ich hätte ihm gern geholfen, aber ich wusste, ich würde es nicht aushalten. Ich könnte nicht mit ihm an der Hand durch die Stadt gehen, ihn in den Kindergarten und in die Schule bringen. Wann immer und wo immer ich mit ihm auftauchen würde, gäbe es Getuschel und ein dummes Grinsen. Und was sollte ich sagen, wenn man mich fragt, sind Sie der Vater? Ganz augenscheinlich war ich es nicht. Und so wollte ich das Unmögliche gar nicht erst versuchen.
    Gitti fragte, warum ich so spät komme und ob ich wieder unter unserem Auto gelegen hätte.
    »Wasch dir die Hände, bevor du den kleinen Wilhelm anfasst«, sagte sie.
    »Ich war im Krankenhaus«, sagte ich gleichmütig.
    Sie schaute überrascht zu mir: »Hattest du einen Unfall?«
    »Nein. Ich war im Kreiskrankenhaus. In der Frauenabteilung.«
    Sie erwiderte nichts.
    »In der Entbindungsstation«, fügte ich überflüssigerweise hinzu.
    Gitti beugte sich über den Säugling und sagte nichts. Jetzt wusste sie Bescheid, dass ich Bescheid wusste. Ich blieb im Zimmer und wartete darauf, dass sie etwas sagt, irgendetwas, sie schwieg oder redete mit ihrem Baby. Dann packte sie es in das Kinderbett, das ich gebaut hatte, und sang ihm etwas vor. Als sie aus dem Zimmer ging, fragte sie, ob ich noch einen Moment bei dem Baby bleiben wolle. Ihre Stimme zitterte ein wenig, vielleicht hatte sie Angst vor dem, was nun kommen würde. Vielleicht hatte sie Angst, mich mit dem Baby allein zu lassen. Ich stand auf und folgte ihr in die Küche. Sie stellte Teller auf den Tisch, holte die Lebensmittel aus dem Keller und schnitt Brot.
    »Pigmentverschiebung«, sagte ich, »toller Einfall. Und wie hast du dir das später gedacht? Oder hast du geglaubt, ich gewöhne mich daran?«
    Sie antwortete mir nicht. Als sie alles auf den Tisch gestellt hatte, setzte sie sich mir gegenüber, sah mir in die Augen und fragte: »Und was ist nun?«
    Ihr Ton war spöttisch und unverschämt, und am liebsten hätte ich ihr ein paar geknallt.
    »Wer ist denn der Vater von deinem Pigmentbaby? Hier im Ort gibts gar keine Neger. Wo hast du denn den aufgetrieben?«
    Sie zuckte mit der Schulter und stieß verächtlich die Luft aus.
    »Na schön«, sagte ich schließlich, »wir sind ja gottlob nicht verheiratet. Und auf meine Vaterschaft wirst du wohl nicht pochen.«
    Sie grinste mich an. Ich stand auf und ging auf den Flur hinaus. Dann packte ich meine Joppe und ging in meine Kneipe, in der ich mich in den letzten Wochen wegen des Babys und wegen des Autos rar gemacht hatte. Einer aus der Werkstatt war da und ein paar Leute, die ich als Kunden kannte. Ich setzte mich zu ihnen an den Tisch und bestellte ein Bier. Sie sprachen über Motorräder und wie man sie auf Leistung trimmen kann. Dann fragten sie mich nach meinem Prachtstück, der Limousine, und wie teuer sie sei.
    »Unbezahlbar«, sagte ich, »das schöne Stück fahre ich bis zu meinem Lebensende.«
    »Wenn sie dir nicht eines Tages zerfällt, so alt wie die ist.«
    »Die zerfällt nicht, darauf wette ich jede Summe. Hin und wieder werde ich etwas auswechseln müssen, das wird sich in Grenzen halten.«
    »Irgendwann ist es damit vorbei. Ersatzteile bekommst du schon heute nicht mehr dafür.«
    »Hab ich zwei linke Hände? Notfalls feile ich mir einen Motorblock.«
    »Machst alles selber, was?«
    »So ist es.«
    »Klar, ein richtiger Mann macht sich alles selber.«
    »Macht sich auch die Kinder selber.«
    »Ich jedenfalls brauche da keine fremde Hilfe.«

»Manche machen selber, manche lassen machen. Wenn man Tag und Nacht unter dem Auto liegt, kommt man vielleicht nicht dazu.«
    »Oder man will was ganz Besonderes. Was nicht jeder hat.«
    »Ja, Kraushaar, ne dicke Nase und alles hübsch gebräunt.«
    »Soll für die Weiber ja ein Vergnügen sein, was man so hört.«
    »Wovon redet ihr?«
    »Ach nur so, Koller. Kleines Gespräch unter Freunden. Musst du nicht persönlich nehmen.«
    »Ich hab gehört, im Konsum gibt es neuerdings Negerpuppen zu kaufen. Ganz frisch reingekommen.«
    »Wer es braucht, freut sich. Bei mir käme so was nicht ins

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