Landy, Derek - Tanith Low - Die ruchlosen Sieben
anderen lachten. Avaunt zog die Nummer durch bis zu dem Morgen, als sie zu Quoneel gerufen wurde.
Als sie zurückkam, war ihre Robe voller Blut, und sie war blass. Ihre Augen waren ganz groß und feucht. Das Mädchen fand sie später leise schluchzend in einer dunklen Ecke. Avaunt schaute auf und nannte sie wieder Hochwohlgeboren und noch Schlimmeres, bis das Mädchen davonging und sie mit ihren Tränen allein ließ.
Das Mädchen freute sich nicht auf ihren ersten Mord.
Eines Tages holte Quoneel sie aus dem Unterricht, und sie folgte ihm pflichtschuldig. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Sie betraten einen kleinen Raum, in dem eine Frau an die Wand gekettet war. Sie war die erste Person ohne Robe, die das Mädchen seit langer, langer Zeit zu sehen bekam.
„Wer seid ihr?“, fragte die Frau voller Angst. Sie hatte braunes Haar. Sie war leicht übergewichtig. Sie sah genauso alt aus wie die Mutter des Mädchens. „Was wollt ihr? Ich verrate euch der Polizei nicht, wenn ihr mich gehen lasst, ich schwöre es.“
Quoneel gab dem Mädchen einen Dolch. „Töte sie“, befahl er.
„Ich kann nicht“, erwiderte das Mädchen.
„Aber dafür bist du ausgebildet worden. Wenn du erst ein Messer in der Dunkelheit bist, wirst du vielen das Leben nehmen. Das ist nur dein erstes Opfer.“
„Aber ich kenne die Frau ja gar nicht“, wandte das Mädchen ein.
„Dein Name“, verlangte Quoneel. „Laut, damit das Mädchen ihn hören kann.“
„Tanith“, sagte die Frau. „Tanith Woodall. Ich habe einen Sohn und eine Tochter, und sie brauchen mich. Bitte. Bitte lasst mich wieder zu ihnen.“
„Jetzt kennst du sie“, meinte Quoneel. „Fällt es dir jetzt leichter, sie umzubringen?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Sie hat mir nichts getan. Sie hat mich nicht verletzt. Ich kann sie nicht einfach umbringen.“
„Du kannst. Es ist ganz leicht.“
„Aber warum?“
„Weil du als Messer in der Dunkelheit die umbringen musst, die umzubringen man dir befiehlt. Und ich befehle dir, diese Frau umzubringen. “
Ouoneel schnippte mit den Fingern, und die Ketten, die die Frau an die Wand fesselten, lösten sich. Die Frau schwankte ein wenig und rieb sich die Handgelenke. Sie war frei, aber immer noch voller Angst.
„Meister, bitte …“
„Ich frage dich, Kind, was nützt ein Mörder, wenn er nicht morden kann?“
Das Mädchen schluckte. „Nichts, Meister.“
„Ganz richtig, nichts. Seit du bei uns bist, hat man dich jeden Tag auf jede erdenkliche Art geprüft. Jede Frage, die wir stellen, ist ein Test. Jede Arbeit, die wir dir zuweisen, ist ein Test. Aber keiner dieser Tests hätte zu deinem Tod geführt, hättest du versagt. Dies ist der erste wirkliche Test, dem man dich unterzieht. Überlege dir gut, wie du weitermachen willst.“
„Wenn … wenn ich noch ein bisschen mehr Zeit haben könnte“, bat das Mädchen.
„Wozu?“
„Um mich darauf vorzubereiten.“
„Verstehe. Wenn wir diesen Test also um sechs Monate oder so verschieben, vielleicht auch um ein Jahr, glaubst du, dass du dann bereit wärst?“
„Vielleicht“, antwortete das Mädchen. Dann nickte sie. „Ja. Doch, bestimmt.“
„Ein richtiger Test wäre es dann aber nicht mehr, oder?“, meinte Quoneel.
Die Frau schluchzte jetzt leise. Ihre Schultern zuckten.
„Ich kann sie nicht töten“, erklärte das Mädchen.
„Dann werde ich es tun“, erwiderte der Meister. „Und noch bevor ihr Herz aufgehört hat zu schlagen, habe ich auch dich getötet.“
Das Mädchen fasste ihren Dolch fester. „Ich werde mich wehren.“
„Den Kampf würdest du verlieren. Diese Frau wird heute sterben, egal wie du dich entscheidest. Triff die richtige Entscheidung, und töte sie rasch. Wenn ich es tun muss, zerstückle ich sie, und sie stirbt schreiend.“
Das Mädchen blickte auf die schluchzende Frau, und auch ihr stiegen Tränen in die Augen. „Bitte zwingen Sie mich nicht …“
„Es tut mir leid, Mädchen, aber du musst es tun.“
Die Frau machte unvermittelt einen Satz auf die Tür zu. Sie stieß Quoneel zur Seite und stürmte direkt auf das Mädchen zu, das Gesicht in Verzweiflung und Wut verzerrt. Sie lief in das Mädchen hinein und blieb dann stehen, und das Mädchen trat beiseite. Ihre Hände waren leer. Die Frau blickte hinunter auf den Dolch in ihrem Bauch. Sie begann wieder zu schluchzen und sackte in sich zusammen. Da saß sie nun auf dem Boden und schüttelte den Kopf.
„Nein“, flüsterte die Frau. „Nein, bitte … nicht
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