Landy, Derek - Tanith Low - Die ruchlosen Sieben
ich …“
Sie schluchzte und holte einmal kurz und rasselnd Luft, und als sie ausatmete, kippte sie nach vorn, bis ihr Kopf den Boden berührte. Danach bewegte sie sich nicht mehr und holte auch nicht noch einmal Atem.
Das Mädchen blickte auf ihre Hände. Es war kein Blut daran. Alles Blut der Frau sickerte auf den Boden. Sie hörte es aus der Wunde tropfen. Aber nicht auf ihre Hände. Ihre Hände blieben sauber. Sie hielt das nicht für richtig. Eigentlich müssten sie rot sein. Sie dachte daran, sich hinzuknien und die Hände in die stetig wachsende Blutlache zu legen, doch die Vorstellung, die bloße Vorstellung ließ etwas in ihrem Kopf Gestalt annehmen, etwas Dunkles und Hässliches und Verängstigtes. Sie zitterte am ganzen Körper, und die Tränen flossen.
„Du hast dich wacker geschlagen“, lobte Quoneel. „Der Unterricht ist heute für dich beendet. Du kannst gehen.“
Sie rannte aus dem Zimmer, halb blind vor Tränen.
Am nächsten Morgen setzte sich Quoneel beim Frühstück neben sie. Das Mädchen war es nicht gewohnt, dass jemand neben ihr saß.
„Ein paar Kinder haben behauptet, sie hätten dich heute Nacht weinen hören.“ Er sprach leise, aber in einem lockeren Tonfall, so als bäte er sie, ihm das Brot zu reichen.
Das Mädchen schwieg.
„Stimmt das?“, hakte Quoneel nach. „Hast du in deinem Zimmer geweint, Mädchen?“
„Sie haben mich dazu gebracht, jemanden zu töten.“
„Ja, das habe ich. Hast du deshalb geweint?“
„Ich dachte, wir würden nur böse Menschen töten. Das haben Sie mir gesagt.“
Quoneel schüttelte den Kopf. „Ich habe gesagt, wenn wir Menschen umbringen, gibt es dafür einen Grund. Wenn du daraus folgern willst, dass wir nur die Bösen umbringen, kannst du mich nicht dafür verantwortlich machen, oder?“
„Aber wenn wir gute Menschen umbringen, können wir nicht gut sein.“
Quoneel lächelte. „Wir haben Gesetze. Wir haben Richtlinien. Wir töten Menschen, die den Tod verdienen. Aber Menschen, die den Tod verdienen, sind nicht immer schlechte Menschen.“
„Mein Bruder würde nie einen Unschuldigen umbringen.“
„Du kennst deinen Bruder nicht.“
„Ich kenne ihn besser als Sie.“ Zornesröte stieg ihr ins Gesicht. „Er ist gut, und er ist ein Held, und er hilft Menschen.“
„Er hilft Menschen, das stimmt. So wie wir alle. Dazu sind wir da, wir Messer in der Dunkelheit. Um Menschen zu helfen.“
„Warum haben Sie mich dann gezwungen, eine Unschuldige umzubringen?“
„Um zu sehen, ob du es tun würdest. Um zu sehen, ob du es kannst. Diesen Test hast du bestanden. Beim ersten Mal ist es immer am schwersten. Danach wird es einfacher.“
„Ich töte keine unschuldigen Menschen mehr.“
Wieder lächelte Quoneel. „Du hast noch keine unschuldigen Menschen getötet, Kind. Diese Frau hat ihren Mann umgebracht.“ Eine lange Pause. „Du scheinst überrascht. Glaubst du denn, man sieht allen Mördern an der Nasenspitze an, dass sie Mörder sind? Glaubst du, sie mauscheln und intrigieren und zwirbeln ihren Schnurrbart? Die Frau hat ihren Mann vergiftet, weil sie ihn loswerden und an sein Geld herankommen wollte. Sie hat den Tod verdient.“
„Was … was passiert mit ihren Kindern?“
„Die Sterblichen wissen, was in solchen Fällen zu tun ist. Um die Kinder wird sich jemand kümmern.“
Das Mädchen blickte auf ihren Teller. „Warum haben Sie mir das nicht gesagt?“
„Wäre eine Mörderin umzubringen einfacher gewesen?“
Das Mädchen überlegte. „Ja.“
„Welche Art Test wäre es dann gewesen?“, fragte Quoneel.
SIEBEN
Annis war noch nie ein Menschenfreund, es sei denn, man definierte „Menschenfreund“ als jemanden, der gern Menschen aß. Den größten Teil ihrer Kindheit war sie unglücklich und allein. Die anderen Kinder aus dem Dorf hatten Steine nach ihr geworfen und sie beschimpft. Das Ergebnis war eine entsprechend schwierige Jugend. Danach aß sie sämtliche Bewohner ihres Dorfes auf, womit die Chance, sich vernünftig mit jemandem unterhalten zu können, deutlich geringer wurde. Mit sechzehn merkte sie, dass sie in der Sonne zu Stein wurde, und so verbrachte sie ihr gesamtes Erwachsenenleben in diversen Höhlen und Gräben, wo sie nur mit Scrannal, dem Idioten, so etwas wie Freundschaft pflegte. Mit anderen Menschen in einem Raum zu sitzen, war deshalb ungewohnt und beunruhigend, etwas, das sie nicht geplant hatte … Und dann kam er herein.
Annis spürte ihr Herz wild klopfen. In ihrem Magen
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