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Langoliers

Titel: Langoliers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wieder von ihm hören.
    Viertel vor vier fing es an zu regnen – ein konstanter Herbstregen, kalt und sanft, der aus einem weißen Himmel herabsäuselte und auf das Dach und die trockenen Blätter um das Haus herum trommelte.
    Zehn vor läutete das Telefon. Mort sprang förmlich hin.
    Es war Amy.
    Amy wollte über das Feuer reden. Amy wollte darüber reden, wie unglücklich sie war, nicht nur wegen sich selbst, wegen ihnen beiden. Amy wollte mit ihm darüber reden, das Fred Evans, der Versicherungsdetektiv, immer noch in Derry war und den Schauplatz durchwühlte und Ted Zweifel an seinen Motiven hatte. Amy wollte, dass Mort mit ihr zusammen darüber nachdachte, ob alles anders gekommen wäre, wenn sie Kinder gehabt hätten.
    Mort antwortete auf alles, so gut er konnte, und dabei spürte er ständig, wie die Zeit – die kostbare Spätnachmittagszeit – verrann. Er war halb verrückt vor Sorge, dass Shooter anrufen, feststellen, dass die Leitung besetzt war und eine neue Gräueltat begehen würde. Schließlich sagte er das einzige, was ihm einfiel, damit sie auflegte: Wenn er nicht schnellstens aufs Klo kam, würde ihm ein Malheur passieren.
    »Ist es Fusel?« fragte sie besorgt. »Hast du getrunken?«
    »Frühstück, glaube ich«, sagte er. »Hör zu, Amy, ich …«
    »Bei Deekin’s?«
    »Ja«, sagte er und versuchte, vor Schmerz und Anstrengung erstickt zu klingen. In Wahrheit fühlte er sich erstickt. Wenn man genauer darüber nachdachte, war eigentlich alles eine schwarze Komödie. »Amy, wirklich, ich …«
    »Herrgott, Mort, sie hat das schmutzigste Restaurant in der ganzen Stadt«, sagte Amy. »Geh. Ich ruf später noch mal an.« Der Hörer an seinem Ohr war tot. Er legte ihn auf die Gabel, stand einen Augenblick da und stellte mit Missfallen fest, dass seine frei erfundene Beschwerde plötzlich wirklich geworden war: Seine Eingeweide hatten sich zu einem schmerzenden, pochenden Knoten zusammengezogen.
    Er lief zur Toilette und machte unterwegs den Gürtel auf.
    Es war knapp, aber er schaffte es. Er saß im durchdringenden Geruch seiner eigenen Ausscheidungen auf der Brille, hatte die Hosen um die Knöchel und versuchte, zu Atem zu kommen … und da läutete das Telefon erneut.
    Er schnellte hoch wie Jack aus seiner Box, schlug sich ein Knie heftig am Waschbecken an und rannte hin, wobei er die Hose mit einer Hand hochhielt und trippelte wie ein Mädchen im zu engen Rock. Er hatte das klägliche, peinliche Ich-habe-nicht-mal-Zeit-zum-Abwischen-Gefühl und vermutete, dass es jedem einmal passierte, aber plötzlich fiel ihm auf, dass er darüber noch nie in einem Buch gelesen hatte – in keinem einzigen Buch.
    Oh, das Leben war eine Komödie.
    Diesmal war es Shooter.
    »Ich hab’ Sie da unten gesehen«, sagte Shooter. Seine Stimme war ruhig und gelassen wie immer. »Da unten, wo ich sie versteckt habe, meine ich. Sah aus, als hätten Sie einen Hitzschlag gehabt, aber es ist nicht Sommer.«
    »Was wollen Sie?« Mort nahm den Hörer ans andere Ohr. Seine Hose rutschte wieder bis zu den Knöcheln hinunter. Er beließ es dabei und stand mit halb zwischen Knien und Hüften hängender Unterhose da. Was das für ein Werbefoto abgeben würde, dachte er.
    »Ich hätte Ihnen fast einen Zettel angesteckt«, sagte Shooter. »Aber dann habe ich mich dagegen entschieden.« Nach einer Pause fügte er mit einer Art geistesabwesender Verachtung hinzu: »Sie bekommen zu leicht Angst.«
    »Was wollen Sie?«
    »Aber das habe ich Ihnen doch schon gesagt, Mr. Rainey. Ich möchte eine Geschichte als Ersatz für die, die Sie mir gestohlen haben. Wollen Sie es immer noch nicht zugeben?«
    Ja – sag es ihm, ja? Sag ihm, was er will – die Erde ist flach, John Kennedy und Elvis Presley leben, sind bei bester Gesundheit und spielen Banjoduetts in Kuba, Meryl Streep ist ein Transvestit, sag ihm ALLES …
    Aber das würde er nicht.
    Plötzlich platzten ihm seine ganze Frustration, sein Entsetzen und seine Verwirrung mit einem lang gezogenen Heulen aus dem Mund.
    »DAS HABE ICH NICHT! DAS HABE ICH NICHT! SIE SIND VERRÜCKT, UND ICH KANN ES BEWEISEN! ICH HABE DAS MAGAZIN, SIE IRRER! HABEN SIE GEHÖRT? ICH HABE DAS GOTTVERDAMMTE MAGAZIN!«
    Die Antwort darauf war keine Antwort. Die Leitung war stumm und tot, nicht einmal das ferne Brabbeln einer Phantomstimme unterbrach die glatte Dunkelheit, die jener so ähnlich war, welche jeden Abend, den er allein hier verbrachte, an seiner Fensterwand

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