Langoliers
rappelte sie sich auf die Knie, wobei sie hörte, wie ein langer Streifen aus dem Kleid gerissen wurde.
»Nein, Madam«, keuchte Shooter. Er umklammerte mit der Hand ihren Knöchel. »Nein, Madam.« Sie sah über ihre Schulter und das Wirrwarr ihres Haars und stellte fest, dass er sich bemühte, mit der anderen Hand den Schraubenzieher aus dem Boden zu ziehen. Der runde schwarze Hut saß schief auf seinem Kopf.
Er riss den Schraubenzieher heraus und stieß ihn in ihre rechte Wade.
Die Schmerzen waren grässlich. Die Schmerzen waren die ganze Welt. Sie schrie und trat nach hinten aus, traf seine Nase, brach sie. Shooter grunzte und fiel auf die Seite, hielt sich das Gesicht, und Amy kam auf die Füße. Sie konnte eine Frau heulen hören. Es hörte sich an wie ein Hund, der den Mond anheult. Sie vermutete, es war kein Hund. Sie vermutete, dass sie es selbst war.
Shooter kam ebenfalls wieder auf die Füße. Seine untere Gesichtshälfte war eine blutige Maske. Die Maske teilte sich und entblößte Mort Raineys schiefe Schneidezähne. Sie konnte sich erinnern, wie sie mit der Zunge über diese Zähne geleckt hatte.
»Sie sind eine störrische, was?« sagte er grinsend. »Das macht nichts, Madam. Nur zu.«
Er sprang nach ihr.
Amy taumelte rückwärts. Der Schraubenzieher fiel aus ihrer Wade und rollte über den Boden. Shooter sah ihn an, dann sprang er wieder fast verspielt nach ihr. Amy packte einen der Wohnzimmersessel und warf ihn ihm entgegen. Einen Augenblick sahen sie einander nur über den Sessel hinweg an … dann griff er ruckartig nach ihrem Kleid. Amy wich zurück.
»Ich habe es satt, mit Ihnen herumzumachen«, keuchte er.
Amy warf sich herum und rannte zur Tür.
Er folgte ihr augenblicklich, streckte die Hand nach ihrem Rücken aus, versuchte, den Saum des Kleides zu fassen zu bekommen, erwischte ihn und stolperte dann wieder, sonst hätte er sie unwiederbringlich zurückgerissen.
Amy lief am Küchentresen vorbei zur Hintertür. Ihr rechter Schuh quietschte an ihrem Fuß. Er war voller Blut. Shooter war sofort wieder hinter ihr her, schnaufte, blies Blutblasen aus den Nasenlöchern und griff nach ihr.
Sie stieß die Verandatür mit den Händen auf, stolperte und fiel der Länge nach auf die Veranda, wobei ihr sämtliche Luft aus den Lungen gepresst wurde. Sie fiel genau auf die Stelle, wo Shooter sein Manuskript liegengelassen hatte. Sie rollte sich herum und sah ihn kommen. Jetzt hatte er nur noch die bloßen Hände, aber die sahen aus, als wären sie mehr als ausreichend. Seine Augen waren streng und starr und schrecklich gütig unter der Krempe des schwarzen Hutes.
»Es tut mir so leid, Missus«, sagte er.
»Rainey! « rief eine Stimme. »Aufhören!«
Sie versuchte sich umzudrehen, konnte es aber nicht. Sie hatte sich den Hals verrenkt. Shooter kam einfach weiter auf sie zu.
» Rainey! Aufhören!«
»Hier ist kein Rainey …«, begann Shooter, dann hallte ein Gewehrschuß donnernd durch die Herbstluft. Shooter blieb stehen, wo er war, und sah neugierig, fast beiläufig auf die Brust. Dort war ein kleines Loch. Es kam kein Blut heraus – jedenfalls anfänglich nicht –, aber das Loch war da. Er legte die Hand darauf und nahm sie wieder weg. Ein dünner Blutstreifen überzog seine Finger. Diesen betrachtete er nachdenklich. Dann ließ er die Hand sinken und sah Amy an.
»Baby?« fragte er und fiel dann in voller Länge neben sie auf die Verandadielen.
Sie drehte sich um, konnte sich auf die Ellbogen stützen und kroch zu der Stelle, wo er lag und zu schluchzen anfing.
»Mort?« rief sie. »Mort? Bitte, Mort, versuch etwas zu sagen!«
Aber er würde nichts mehr sagen, und nach einem Augenblick ließ sie diese Erkenntnis auf sich einwirken. In den folgenden Wochen und Monaten sollte sie die Tatsache, dass er tot war, wieder und immer wieder leugnen, dann würde sie schwach werden, und die Erkenntnis würde sie doch wieder übermannen. Er war tot. Er war tot. Er war hier unten verrückt geworden – und er war tot.
Er, und derjenige, der am Ende in seinem Kopf gewesen war.
Sie legte den Kopf auf seine Brust und weinte, und als jemand hinter sie trat und ihr tröstend die Hand auf die Schulter legte, drehte Amy sich nicht um.
EPILOG
Ted und Amy Milner besuchten etwa drei Monate nach den Ereignissen am Tashmore Lake den Mann, der Amys ersten Ehemann, den bekannten Schriftsteller Morton Rainey, erschossen hatte.
Sie hatte diesen Mann in den drei Monaten nur noch einmal gesehen, auf
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