Langoliers
ruhig: Warum hast du es getan, Mort? Diese ganze komplexe und mörderische Episode? Shooter hat gesagt, er möchte eine Geschichte, aber es GIBT keinen Shooter. Was willst DU Mort? WESHALB hast du John Shooter erschaffen?
Dann hörte er draußen das Geräusch eines Autos, das die Einfahrt entlangrollte. Mort sah auf die Uhr und stellte fest, dass beide Zeiger auf zwölf standen. Triumph und Erleichterung strömten durch ihn hindurch wie Flammen, die einen Schornstein emporzüngeln. Dass er das Magazin hatte, aber immer noch keinen Beweis, spielte keine Rolle. Dass Shooter ihn vielleicht umbrachte, spielte keine Rolle. Er konnte glücklich mit dem Wissen sterben, dass es einen John Shooter gab und er selbst nicht für die Schrecken verantwortlich war, die er in Erwägung gezogen hatte.
»Er ist da!« rief er fröhlich und lief aus dem Arbeitszimmer. Er winkte mit den Armen wild über dem Kopf und machte sogar einen kleinen Luftsprung, als er um die Ecke in die Diele kam.
Er blieb stehen und sah auf die Einfahrt hinaus – vorbei am schrägen Dach des Müllkastens, wo Bumps Kadaver festgenagelt gewesen war. Seine Hände sanken langsam herunter. Dunkles Entsetzen stahl sich über sein Gehirn. Nein, nicht darüber; es kam herunter, als würde eine unbarmherzige Hand einen Rollladen herunterlassen. Das letzte Stück fiel an Ort und Stelle. Vor wenigen Augenblicken war ihm im Arbeitszimmer der Gedanke gekommen, er hätte John Shooter erschaffen haben können, damit dieser ihn umbrachte, weil ihm der Mut zum Selbstmord fehlte, sogar dazu, sich einzugestehen, dass er den Selbstmord wollte, gewollt hatte, seit er an jenem Nachmittag mit dem Schlüssel des Zimmermädchens aufgeschlossen hatte. Jetzt wurde ihm klar, dass Shooter die Wahrheit gesprochen hatte, als er sagte, er würde Mort niemals töten.
Es war nicht John Shooters imaginärer Kombi, sondern Amys nüchterner kleiner Subaru, der gerade anhielt. Amy saß am Lenkrad. Sie hatte seine Liebe gestohlen, und eine Frau, die einem die Liebe stahl, wenn man außer Liebe nichts hatte, taugte eigentlich nichts.
Trotzdem liebte er sie.
Shooter hasste sie. Shooter wollte sie umbringen und dann im Wald hinter dem Haus begraben, wo sie schon bald für sie beide ein Geheimnis sein würde.
Er hatte Shooter seine Geschichte nicht geschrieben. Und jetzt wollte Shooter mit ein wenig Hilfe von Morton Rainey statt dessen seine Frau holen.
»Geh weg, Amy«, flüsterte er mit der brüchigen Stimme eines sehr alten Mannes. »Geh weg, ehe es zu spät ist.«
Aber Amy stieg aus dem Auto aus, und als sie die Tür hinter sich zuschlug, zog die Hand in Morts Kopf den Rollladen ganz herunter, und er war in Dunkelheit gehüllt.
47
Amy ging zur Tür und stellte fest, dass sie nicht verschlossen war. Sie trat ein und wollte nach Mort rufen, ließ es dann aber sein. Sie sah sich verblüfft und mit aufgerissenen Augen um.
Das Haus war ein einziges Durcheinander. Der Mülleimer war voll und quoll auf den Boden über. Ein paar träge Herbstfliegen krabbelten auf einer Aluminiumkuchenform herum, die in eine Ecke gekickt worden war. Sie konnte abgestandenes Essen und staubige Luft riechen. Sie glaubte, sie konnte sogar verdorbenes Essen riechen.
Mrs. Gavin … warum hat sie alles so verkommen lassen?
Aber wenn er sehr durcheinander war – und als er sie heute morgen angerufen und gebeten hatte hier herzukommen, hatte er sich schrecklich, schrecklich durcheinander angehört – hatte er Mrs. Gavin vielleicht gebeten, diese Woche nicht vorbeizukommen, sondern daheim zu bleiben. Die wahre Frage war, warum hatte Mort alles so verkommen lassen?
»Mort?«
Sie bekam keine Antwort. Sie ging weiter ins Haus, mit kleinen Schritten und nicht sicher, ob sie den Rest auch sehen wollte. Was war, wenn es schlimmer war, als sie dachte? Was war, wenn Mort schlimmer war?
Sie hatte sich das ganze letzte Jahr ihrer Ehe Sorgen um ihn gemacht, aber seit der Scheidung machte sie sich noch mehr Sorgen. Sorgen, und selbstverständlich hatte sie auch Schuldgefühle. Sie gab sich selbst teilweise die Schuld und dachte, dass sie das wohl immer tun würde. Aber Mort war nie stark gewesen … und seine größte Schwäche war die störrische (und manchmal fast hysterische) Weigerung, diese Tatsache einzusehen. Sie war heute Vormittag nur aus einem einzigen Grund so schnell hergekommen, weil er sich wie ein Mann kurz vor dem Selbstmord angehört hatte. Und sie hatte seiner Bitte, Ted nicht mitzubringen, nur
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