Lanzarote
Anfang der 5oer Jahre den Lanzarote Tourismus erfunden haben,
sind sie von der Insel gefohen, die im äußersten Süden ihrer Sehnsüchte liegt, wie Andre Breton es an einem seiner guten Tage ausgedrückt hatte. Die Einwohner denken voll Rührung daran zurück, was auch die eine oder andere in norwegischer Sprache verfasste Speisekarte mit von der Zeit so gut wie aus gelöschten Schriftzeichen bezeugt, die im Eingang von meist menschenleeren Restaurants angepinnt ist. Im weiteren Ver lauf dieses Textes wird es nicht nötig sein, die Norweger noch mals zu erwähnen. Mit den Engländern ist das nicht möglich, ebenso wenig mit dem generell durch urlaubende Engländer entstehenden Problem. Dieses Problem entsteht nicht durch die Deutschen (die überall hinfahren, wo die Sonne scheint) und noch weniger durch die Italiener (die überall hinfahren, wo es schöne Ärsche gibt); über die Franzosen wollen wir lieber schweigen. Als einzige Europäer mit mittlerem oder hö herem Einkommen scheinen die Engländer den üblichen Ur laubsorten seltsamerweise fernzubleiben. Eine unbestechliche und systematische, mit hohem fnanziellem Einsatz geführte Untersuchung erlaubt indessen, ihre Feriengewohnheiten zu erkunden. In dicht gedrängten Kolonien bewegen sie sich gemeinsam zu eigenartigen Inseln, die in den Katalogen der kontinentalen Reiseveranstalter kaum vorkommen – Malta zum Beispiel, Madeira oder eben Lanzarote. Vor Ort nehmen sie ihre übliche Lebensweise wieder auf. Nach den Motiven der Wahl ihrer Urlaubsorte befragt, liefern sie ausweichende, fast tautologische Antworten: »Ich bin hier, weil ich schon letztes Jahr hier gewesen bin.« Wie man sieht, kennzeichnet die Eng länder nicht gerade ein reger Entdeckungshunger. In der Tat ist vor Ort festzustellen, dass sie sich weder für Architektur noch für die Landschaft noch für sonstwas interessieren. Am frühen Abend fndet man sie nach kurzem Strandaufenthalt um Tische mit eigentümlichen Aperitifs versammelt. Die Anwesenheit von Engländern an einem Urlaubsort gibt also keinerlei Auskunft über den Reiz des Ortes, seine Schönheit, seine touristischen Möglichkeiten. Der Engländer begibt sich an einen Urlaubsort ausschließlich dann, wenn er sicher sein kann, dort andere Engländer anzutreffen. Darin befndet er sich im genauen Gegensatz zum Franzosen, jenem dermaßen oberfächlichen und von sich selber eingenommenen Wesen, dass ihm die Begegnung mit einem Landsmann im Ausland wirklich micri niglidi ist. In diesem Sinne kann man Franzo sen einen Aufenthalt auf Lanzarote empfehlen. Man könnte ihn besonders den französiscben hermetiscben Dichtern emp fehlen, die hier alle Mühe hatten, Stückchen in dieser Art zu produzieren:
Dennoch sei daran erinnert, dass der Reiseführer namens Guide du Routard (heute leider auch auf Spanisch erhältlich) in Frankreich ersonnen wurde; dank »sympathischer« (öko logischer, humanitärer) Einstellungen, dank Liebhabereien, Aushilfen zum »intelligenten« Reisen und zur Begegnung mit dem Anderen (erst verstehen, dann beurteilen), dank einer fast fanatischen Suche nach einer natürlich stets vom Verab schieden bedrohten »Authentizität« ist es ihm gelungen, neue Normen auf dem Gebiet der internationalen Dummheit ein zurichten. Der Leser sei beruhigt: Lanzarote kommt im Guide du Routard nicht vor.
Schatten,
Schatten ties Scbattens,
Spuren auf einem Felsen.
Oder auch, mehr a la Guillevic:
Steinchen, Kleines Steincben. Du atmest.
Nachdem der Fall des französischen hermetischen Dichters erledigt ist, kann ich mich nun dem gewöhnlichen französi schen Touristen zuwenden. Ohne seinen Guide du Routard lauft der gewöhnliche französische Tourist, das muss man zu geben, auf Lanzarote bald Gefahr, alle Symptome gründlicher Langeweile zu verspüren. Für einen Engländer wäre das, wie man sich denken kann, kein Handicap; der Franzose aber, je nes oberfächliche Wesen, ist auch ungeduldig und leichtlebig. Er ist nicht nur der Erfnder des traurig berühmten Guide du Routard, sondern hat in glücklicheren Zeiten auch den fabel haften Guide Michelin ersonnen, der dank seines ausgeklügel ten Sterne-Systems erstmals die Möglichkeit bot, den Planeten hinsichtlich seines Erholungs- und Unterhaltungswerts zu rastern. Nun sind touristische Attraktionen auf Lanzarote nicht eben zahlreich: ihre Zahl beläuft sich auf zwei. Die erste, etwas nördlich von Guatiza, besteht aus dem Kakteengarten. Verschiedene nach ihrer abstoßenden Gestalt
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