Lanze und Rose
allein zu lassen.
»Nein. Ich komme zurecht. Es wird schon gehen. Außerdem… ist es eigentlich auch Zeit, dass ich ins Lager zurückkehre.«
Er goss sich noch ein dram ein.
»Nein, Liam!«, schrie ich beinah, von Panik ergriffen. »Wir müssen miteinander reden … Du verschwindest ganze Tage, und ich weiß nicht, wohin oder was du tust. Du sprichst nicht mehr mit mir. Ich mache mir Sorgen. Wenn ich zurück bin …«
Er zuckte zusammen und wich meinem Blick aus.
Er nahm den Whiskybecher und leerte ihn.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich gehe in den Hügeln auf die Jagd, nichts weiter.«
»Hör auf, mir auszuweichen, Liam, du weißt ganz genau, was ich meine. Ich finde, es ist Zeit, dass du redest …«
Ruckartig sah er zu mir auf. In seinem Blick lag eine solche Verzweiflung, dass mir fast das Herz stehenblieb. Ich tat ein paar Schritte auf ihn zu, hielt jedoch inne, als ich sah, wie er sich verspannte.
»So können wir nicht weitermachen. Ranald ist tot, und nichts kann ihn wieder zurückbringen. Aber ich weigere mich, dich zusammen mit ihm gehen zu lassen.«
Ausdruckslos schaute er mich an, drehte langsam die Flasche zwischen den Fingern und erzeugte damit ein schabendes Geräusch auf der hölzernen Tischplatte, das mir durch Mark und Bein ging. Ich räusperte mich und versuchte ruhig zu bleiben.
»Versprich mir zu warten, bis ich zurück bin, mo rùin . Ich weiß, dass es schwer ist, mit Ranalds Tod fertig zu werden, aber ich finde, wir müssen uns damit abfinden. Darüber zu reden, ist eine gute Art, das zu erreichen, sowohl für dich als auch für mich.«
»Ich habe meine Abreise schon viel zu lange hinausgeschoben, Caitlin. Und ich versichere dir, dass es mir gut geht… Ich brauche nur einfach ein wenig länger Zeit als du.«
»Zwei Tage, Liam. Versprich es mir.« Er schenkte mir einen langen Blick und seufzte. Dann ging er hinaus.
Der einsame Weiler Dalness lag in dem majestätischen Tal von Glen Etive, im Schatten des Bidean nam Bian, der die Grenze zu Glencoe darstellte. Für die Augen von Fremden ähnelten sich alle Täler in den Highlands. Doch für uns, die wir dort wohnten, waren diese tiefen Rinnen, die vor mehreren tausend Jahren von Gletschern gepflügt worden waren, so verschieden und eigentümlich wie die Gesichtszüge eines Menschen.
Dalness lag an der Südgrenze des Territoriums der Macdonalds und an der Nordgrenze der Ländereien der Macintyres aus dem Clan der Campbell. Seit Generationen zahlten seine Bewohner ihre Pacht und hatten MacIain Treue geschworen. Doch die Lage isolierte diesen Zweig des Clans von allen anderen. Um nach Dalness zu gelangen, musste man mehrere Meilen
weit durch die Berge reiten und den Pass von Lairig Eilde überqueren.
Auf der Heide zwischen dem Weiler und dem Etive-Fluss weidete eine Herde schwarzer Kühe mit langen Hörnern in Gesellschaft einiger Schafe mit dunklen Gesichtern. Der Schnee war vor zwei Tagen geschmolzen, und das Wetter war relativ mild. Die ideale Witterung zum Reisen.
Die Tür ließ sich knarrend öffnen. Eine Feldmaus huschte erschrocken davon und flüchtete sich in eine Mauerspalte.
»Wenigstens wirst du nicht allein sein«, bemerkte ich belustigt.
Das Cottage war klein und bestand nur aus einem Raum, in dessen Mitte sich unter einer Öffnung im Dach die Feuerstelle befand. Die dicken Mauern aus Stein und Strohlehm hatten nur ein einziges Fenster, das mit einer einfachen geölten Rinderhaut verschlossen war. Erleichtert bemerkte ich, dass jemand das Dach repariert hatte. Wenigstens wird sie es trocken haben.
Nachdem wir ihr Gepäck auf den Tisch gestellt hatten, nahm ich eine Bestandsaufnahme des Schrankes und der Regale vor. Ich wollte mich vergewissern, dass es meiner Tochter an nichts mangeln würde. Daher hatte ich in meinen Satteltaschen ein paar Vorräte mitgebracht: getrocknetes Hirschfleisch, Kräuter, frische Butter und Eier. Trevor war seit zwei Monaten fort, und ich befürchtete, dass es ihr an frischen Nahrungsmitteln mangeln würde. Offiziell gehörte sie jetzt zu den Dorfbewohnern, aber dennoch war sie eine Fremde. Doch das schien sie nicht im Mindesten zu kümmern. Sie war zu Hause und schien begeistert darüber zu sein.
Ich half ihr, ihre wenigen Vorräte und persönlichen Gegenstände wegzuräumen. Dann kochten wir gemeinsam das Abendessen. Die Reise und das Auspacken hatten uns hungrig gemacht, und wir gönnten uns gekochtes Rindfleisch mit Rüben und Kohl als Beilage. Das Ganze spülten wir
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