Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
Vom Netzwerk:
abschlagen . Ich hatte das Gesicht verzogen, aber nicht gewagt, ihm zu widersprechen. Langsam begann ich mir große Sorgen um ihn zu machen.
    Er war zwar daheim, doch ich sah ihn nur sehr selten. Kaum hatte er sein Frühstück heruntergeschlungen, zog er seine warme Weste aus Leder an und ging in die Berge, um erst Stunden später zurückzukehren, manchmal erst gegen Abend. Gelegentlich brachte er mir einen fetten Hasen oder ein schönes Moorhuhn, das er aufgestöbert hatte. Manchmal kam zu seiner Beute auch ein Hermelin, das er dann sofort abzog. Das Fell, das für die Herstellung von Sporrans sehr begehrt war, würde vielleicht ein paar Shilling einbringen.
    Was mich anging, so war ich an meinen Herd und an mein Spinnrad zurückgekehrt. Doch beide waren wir zutiefst niedergedrückt und versanken jeder für sich in unserem Gram, und die täglichen Verrichtungen erledigten wir ohne nachzudenken, einfach aus Gewohnheit. Wir wühlten uns in unseren Schmerz und verbargen unsere Tränen voreinander – ganze Sturzbäche von Tränen, deren Quelle niemals versiegen zu wollen schien. Mir wurde klar, dass der Schmerz etwas sehr Persönliches war. Wir waren wie zwei Schiffe in Seenot, die auf demselben entfesselten Ozean im Sturm dahintrieben, jedoch in verschiedene
Richtungen. Jeder erlitt Schiffbruch, wandte dem anderen dabei aber den Rücken zu. Ich musste einen Halt finden, um mich nicht selbst zu verlieren, um nicht unterzugehen.
    Die Zeit tat ihr Werk. Langsam, nach und nach, fand meine niedergeschmetterte Seele sich mit Ranalds Tod ab. Doch ich wurde so sehr von meiner Suche nach einem Sinn in Anspruch genommen, war so beschäftigt damit, den Schmerz aus dem Zentrum meines Lebens zu verbannen, dass ich dabei Liam vergaß. Er fand kein Licht mehr, das seine Dunkelheit erhellte.
    Seine Abende verbrachte er damit, vor dem Torffeuer seinen Whisky zu trinken. Er sprach wenig. Niemals betrank er sich, aber ständig, Abend für Abend, hing ein Geruch nach Alkohol im Zimmer. Und dann die Nächte … Die kostbaren Ruhestunden waren nur noch Zwischenspiele zwischen seinen Albträumen, aus denen er schreiend, schweißüberströmt und zitternd erwachte. Wenn er wieder bei sich war, presste er mich schluchzend an sich, wärmte sich an mir, weigerte sich aber starrköpfig, mir die Ängste anzuvertrauen, die seine Seele umtrieben. Er war dabei, das Schiff zu verlassen. Ich musste ihm einen Rettungsring zuwerfen, wenn ich nicht zusehen wollte, wie er versank. Aber würde er ihn nehmen?
    Frances ging anders mit der Lage um. Da sie die Spannung zwischen ihrem Vater und mir spürte, traf sie die kluge Entscheidung, nach Dalness zu gehen und sich in der Hütte, die jetzt auch die ihre war, einzurichten. Ich versuchte nicht, sie zurückzuhalten. Sie hatte ja recht: Liam und ich mussten wieder zueinander finden, allein. Vielleicht würde es mir dann gelingen, ihn zum Reden zu bringen und die Dämonen zu vertreiben, die ihn zerfraßen.
    Die Tür öffnete sich, und ein Luftzug wehte zusammen mit meinem Gatten herein, der einen weiteren Nager an den langen Ohren hielt.
    »Hier, a ghràid . Mach doch Hasenragout zum Abendessen und gib viele Gewürze hinein.«
    Er schwang das unglückliche Tier über meine Schulter und legte es auf den Hackblock, der hinter mir stand, so dass ich zwischen dem gewaltigen, schartigen Eichenklotz und seinem ausgekühlten
Körper eingequetscht wurde. Er küsste mich auf die Wange und wischte dann einen Mehlfleck von meinem Kinn.
    »Liam…«
    »Mhhh …«
    Er zog seine Weste aus, hängte sie neben der Tür an die Wand und ging dann mit schweren Schritten zu dem großen Schrank, in dem die Whiskyflaschen standen. Ich seufzte.
    »Frances hat beschlossen, nach Dalness zurückzukehren.«
    Er nahm eine bereits geöffnete Flasche und sah mich einen Moment lang an, bevor er nach einem Becher griff. Dann zog er sich eine Bank heran und knallte den Becher auf den Tisch.
    »Gut … Wann bricht sie auf?«
    »Morgen.«
    Er entkorkte die Flasche und schenkte sich ein dram ein.
    »Ich gehe mit ihr.«
    Kurz blieb seine Hand über dem Glas hängen.
    »Ich werde nur zwei oder drei Tage fort sein.«
    Er leerte das Glas in einem Zug.
    »Wahrscheinlich muss es sein«, sagte er leise, mit ernster Stimme.
    Unruhig wischte ich mir die Hände an der Schürze ab.
    »Du kannst auch mitkommen. Ich will ihr nur helfen, sich einzurichten.«
    Merkwürdigerweise fühlte ich mich nicht wohl bei dem Gedanken, ihn mit seinem Whisky und seinem Kummer

Weitere Kostenlose Bücher