Lanze und Rose
allerschlimmsten Galgenvögeln unter den Clans, also…«
Das rosige Licht des Sonnenaufgangs zerstreute den Nebel, der den Glockenturm der St. John’s Kirk und umwaberte, und ließ sein Kreuz, das hoch über Perth schwebte, aufleuchten. Dorthin wandten sich jetzt, mit einem Gebet auf den Lippen, Katholiken und Protestanten gleichermaßen, um die Hoffnung nicht zu verlieren. Auf allen Mienen malten sich Frustration und Enttäuschung.
Der Prätendent war in dem mittelalterlichen Städtchen recht kühl aufgenommen worden. Er war nicht mit dem Zustand seines Lagers zufrieden gewesen, doch er selbst hatte ebenfalls nicht die Herzen der Männer gewonnen. Wie die meisten anwesenden Highlander hatte Duncan sich eines Gefühls der Ernüchterung gegenüber dem Mann, den sie auf den Thron zu setzen versuchten, nicht erwehren können.
James Francis Edward Stuart war groß, mager und von fahlem Teint. Wenig zum Reden aufgelegt, ausweichend und alles andere als hoheitsvoll, schien er wenig Lust zu haben, sich unter die Soldaten zu mischen oder ihren militärischen Übungen beizuwohnen. Man hatte ihm den Beinamen »Old Melancholy« verliehen. Falls dieser Mann tatsächlich anstrebte, sich die Krone zurückzuholen, die ihm rechtmäßig zustand, dann brachte er es mit seiner schweigsamen, ernsten Art nicht zum Ausdruck.
So schien er nichts von dem darzustellen, was man von einem zukünftigen König erwarten konnte. Gewiss, kurz nach seiner Landung auf schottischem Boden hatte ihn ein Fieberanfall geschwächt. Aber der Mann, vor dem sie sich alle verneigt hatten, hatte nichts mit dem leidenschaftlichen, mutigen jungen Prinzen von einundzwanzig Jahren zu tun, der im Frühling des Jahres 1708 an der schottischen Küste gelandet war.
»Das schottische Unternehmen«, wie man jene Expedition getauft hatte, war jämmerlich gescheitert. Die Stürme, die der französischen Flottille vor Aberdeen zugesetzt hatten, und die umständliche Art des Comte de Fourbin, der die Expedition seit ihrem Aufbruch aus Dünkirchen leitete, hatten gemeinsam für das Scheitern des Unternehmens gesorgt. Fourbin, den man für den Misserfolg verantwortlich machte, war daraufhin am Hofe Ludwigs XIV. in Ungnade gefallen.
Am Horizont verblasste jetzt das schillernde Farbenspiel. Von dem kleinen Fenster ihres Zimmers aus sah Duncan abwesend auf die steilen Giebel hinaus. Marion und er waren vor einigen Tagen eingetroffen. Erneut hielt sein Blick bei dem Glockenturm der St. John’s Kirk an. Die steinernen Mauern der Kirche waren im Jahre 1559 stumme Zeugen der leidenschaftlichen Predigt von John Knox gewesen. Der Mann hatte das Volk aufgestachelt und den entsetzlichen Brand der protestantischen Reform ausgelöst.
Mit seiner verleumderischen Predigt hatte der glühende Calvinist die Papisten als Götzenanbeter angeklagt und den Untergang der katholischen Herrschaft in Schottland eingeläutet. Es war das Ende der alten Allianz gewesen, die Schottland und Frankreich über mehr als drei Jahrhunderte verbunden hatte. Man hatte katholische Kirchen geplündert, Abteien und Klöster gebrandschatzt und Bischöfe ermordet. Dies war die Geburtsstunde der protestantischen kirk mit ihren strengen, unbeugsamen Moralvorstellungen gewesen. Nur einige Clans in den Highlands hatten ihr heftigen Widerstand entgegengesetzt.
Seither waren diese Clans der katholischen Dynastie schottischer Monarchen treu geblieben, von der heute nur noch ein exilierter Prinz übrig war, aufgewachsen im Pomp des französischen
Hofes in Saint-Germain-en-Laye. Gewiss, in den Adern des Prätendenten floss schottisches Blut. Doch was wusste dieser Mann wirklich über sein Land und seine Untertanen?
Duncan wandte den Blick gen Norden und betrachtete die »Royal Burgh« 39 . Scone Castle war etwa zwei Meilen nördlich der Stadtmitte von Perth auf dem gegenüberliegenden Ufer des Tay errichtet worden. Dieser spätgotische Palast mit seinen zahlreichen, mit Schießscharten versehenen Türmen aus rotem Sandstein beherbergte den Prinzen. Dort befanden sich auch die Ruinen einer Abtei, die dem von Knox ausgelösten Irrsinn als erste zum Opfer gefallen war. Scone war das Herz des Königreiches der Pikten und Scoten gewesen, die erste Hauptstadt des Landes und seit dem ersten König Kenneth MacAlpin Sitz der Regierung. Ihm war es im Jahre 843 gelungen, die Königreiche der Pikten und der Scoten zu vereinen. Doch seit der Inthronisierung von Charles II. 1651 war dort kein König mehr gekrönt worden. Heute
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