Lanze und Rose
Ich musste etwas unternehmen, sonst würde er hier sterben. Er war ganz offensichtlich nicht in der Lage weiterzureiten.
Ich schob mich ein wenig weiter an seiner Brust hinauf und betrachtete ihn bekümmert. Was sollte ich tun? Ich kannte mich in dieser Gegend nicht aus. Um die Wahrheit zu sagen, hatte ich nicht die geringste Ahnung, wo wir uns befunden hatten, als wir angegriffen worden waren; und erst recht nicht, wohin Liam uns gebracht hatte. Wo mochte Donald sein? Ich sah sein Pferd nicht und hoffte, dass ihm die Flucht gelungen war.
»Caitlin…« Liams Stimme war so rau, dass ich sie kaum wiedererkannte. Er begann wieder zu husten und schluckte mit großer Mühe. Ich rückte ein wenig von ihm ab, damit er besser atmen konnte.
»Tuch! Nicht sprechen, ruh dich aus. Ich bringe uns von hier fort.«
»Nein, a ghràidh , das schaffe ich nicht. Geh… Nimm ein Pferd… Kehre nach Perth zurück…«
Seine Worte gingen in einem harten Husten unter. Er verzog das Gesicht, schluckte noch einmal mühsam und wandte sich ab.
»Wenn du glaubst, dass ich dich hierlassen werde, dann hast du dich geirrt«, gab ich ein wenig barsch zurück, um ihn aus seiner Resignation zu reißen. »Du würdest erfrieren. Mit den Pferden wird das schon gehen.«
»… schaffe ich nicht…«
Zwischen seinen Brauen stand eine tiefe Falte. Trotz der Kälte schimmerte seine Haut schweißfeucht. Seine angeschwollenen Lider ließen sich kaum öffnen, und sein Blick wirkte glasig.
»Ich glaube, mit mir geht es zu Ende… Ich bin zu erschöpft…«
Entsetzt starrte ich ihn an.
»Ich verbiete dir, so etwas zu sagen, Liam Macdonald! Nach allem, was du durchgemacht hast, willst du doch wohl nicht schmählich an einem einfachen Fieber sterben!«
»… keine Kraft mehr. Du bist heil und gesund, und darüber bin ich glücklich. Wenigstens das ist mir in dieser … verfluchten Rebellion gelungen.«
Mir strömten die Tränen über das Gesicht. Er gab sich einfach auf. Ich packte sein Hemd und schüttelte ihn heftig, obwohl das meine Kopfschmerzen noch verschlimmerte. Immer noch keuchend wandte er mir seinen leeren Blick zu. Wo war der Mann, den ich einmal gekannt hatte? Liam! Ich würde ihn retten, ob er wollte oder nicht; so einfach durfte er sich auf keinen Fall davonstehlen.
»Du wirst mich nicht daran hindern, dich zu retten«, knurrte ich und ließ ihn los.
Mit einiger Mühe stand ich auf, wobei meine Knochen knackten wie ein altes Holzgerüst, das vom Sturm durchgeschüttelt worden ist, und stellte eine Bestandsaufnahme der Schäden an. Ein Knie war aufgeschlagen und ziemlich angeschwollen. Meine Finger waren mit Schnitten übersät. Ein Nagel war fast ganz ausgerissen und die anderen praktisch alle abgebrochen. Doch abgesehen von diesen Kleinigkeiten und der offenen Kopfwunde schien der Rest meiner Person unversehrt zu sein. Der Schnee hatte meinen Sturz in die Schlucht abgemildert, so dass ich mir nichts gebrochen hatte.
Ich hinkte zu den Pferden und blieb zögernd vor Colins erstarrter Leiche stehen. Unterschiedliche Empfindungen überschlugen sich in mir. Ich trauerte um ihn. Trotz allem hatte ich ihn sehr gern gemocht. Ich wusste, dass er meinetwegen gelitten hatte. Er war so unglücklich darüber gewesen, dass ich seinen Bruder geheiratet hatte. Dennoch hatte er sich mir gegenüber stets zuvorkommend und freundlich verhalten. Vergib mir, Colin . Der Tod hatte ihn von mir befreit. Ich drehte mich zu Liam um, der sich auf dem kalten Boden zusammengekrümmt hatte. Hoffte auch er auf eine solche Erlösung?
Behutsam hob ich Colins Plaid an. Die langen, wirren Haarsträhnen verbargen das blutleere Gesicht. Ich schob ein paar davon weg und strich ihm über die kalte Wange. Es ist sehr eigenartig, wie sich die Haut eines Toten anfühlt; fest und kühl und glatt. Ich drückte ihm einen Abschiedskuss auf die Wange und netzte sie mit meinen Tränen. Ich schloss die Augen und dachte an die Nacht zurück, in der wir uns um ein Haar geliebt hätten. Dort, wo er jetzt war, würde er glücklicher sein.
»Möge Gott deiner Seele gnädig sein, Colin Macdonald«, flüsterte ich schluchzend.
Ich ließ das Plaid sinken und wandte meine Gedanken erneut den anstehenden Problemen zu. Ich musste mir etwas einfallen lassen, um uns von hier fortzubringen. Wie sollte ich Liam auf sein Pferd hieven? Vielleicht könnte ich ihn mit einem Tau hochziehen, das ich über den Sattel warf und am Geschirr des anderen Tieres befestigte… So weit war ich mit meinen
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