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Lanze und Rose

Lanze und Rose

Titel: Lanze und Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sonia Marmen
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ein Mann und betrachtete seinen Vater jetzt als einen Mann wie alle anderen: verletzlich und schwach gegenüber den Versuchungen des Fleisches.
    Wie oft hatte er schon Männer erlebt, die ein flüchtiges Vergnügen in den Armen einer anderen Frau als ihrer eigenen suchten, Männer aus seinem Clan, die eigentlich glücklich und immer noch verliebt in die Frau waren, die sie zurückgelassen hatten, fern von der harten Wirklichkeit des Krieges. Suchten sie auf diese Weise ein wenig Trost? Wo hätte man sich auch besser verlieren und seine Sorgen, seine Kümmernisse und seine Angst vergessen können als in den Armen einer Frau? Die Wechselfälle des Krieges machten einen Mann schwach. In Perth hatte er Calum mit einem jungen Mädchen ertappt. Mehrmals hatte er es auf Donalds Lager seufzen und kichern hören, der doch seine Janet über alles liebte.
    In den Lagern spreizten die Frauen leicht die Schenkel für einen Kanten Brot oder einfach, um das Unglück und das Elend, das sie umgab, zu vergessen. Er selbst hatte mehrmals solche Angebote erhalten. Aber dieses billige Fleisch hatte ihn nicht in Versuchung geführt. Ohnehin hatte er nur an Marion gedacht. Aber wie würde das in zehn Jahren sein? Oder in zwanzig? Wenn die Leidenschaft einer ruhigen Liebe gewichen war, in der nur ab und zu noch Funken sprühten?

    Sein Vater war der Versuchung erlegen. Er hatte den falschen Weg eingeschlagen. Und doch hatte er sich im Lager nie diesen Frauen genähert, die ihre Röcke hochschlugen, um die Soldaten aufzuheitern. Er war nach Carnoch zu der Frau zurückgekehrt, die er wirklich begehrte, doch dann hatte er Trost bei einer anderen gesucht. Der Kummer seiner Mutter ging ihm zu Herzen. Aber sie hatte recht. Es stand ihm nicht zu, ein Urteil über seinen Vater zu fällen.
    Doch was ihm Angst und Schrecken einjagte, war die Erkenntnis, dass er ebenfalls seine Schwächen besaß; dass auch er eines Tages eine falsche Entscheidung treffen könnte. Wie würde Marion reagieren, wenn er ihr untreu wäre? Er mochte gar nicht daran denken und hoffte nur, dass so etwas nie geschehen würde.
    Eine Feldmaus huschte zwischen seinen Füßen hindurch und trippelte munter davon. Duncan sah, wie eine Wildkatze sich auf leisen Pfoten näherte. Er hielt den Atem an und beobachtete fasziniert, wie das Raubtier sich geschickt an seine Beute anschlich. Lautlos glitt die Katze über den Schnee und schmiegte sich dicht an die Bodenwellen. Dann stürzte sie sich mit einem Satz auf den kleinen Nager, der zwischen ihren Fangzähnen entsetzt aufquietschte. Einen Moment lang sah die Wildkatze, ihr Frühstück im Maul, Duncan direkt in die Augen. Dann lief sie davon und verschwand.
    Zerstreut starrte Duncan immer noch auf die Stelle, an der das Tier sich eben noch befunden hatte.
    »Ein sehr schönes Tier …«
    »Aaah!«, schrie er auf und fuhr von dem moosbewachsenen Baumstumpf hoch, auf dem er gesessen hatte. »Herrgott noch einmal, Marion!«
    Erleichtert hörte er Marion lachen. Sie war ihm nicht mehr böse.
    »Du lässt mich erfrieren! Was machst du dort in aller Frühe?«
    Sie hob eine Ecke des Plaids, das Duncan sich nachlässig über die Schultern geworfen hatte, glitt darunter und schmiegte sich an ihn, um sich ein wenig zu wärmen. Sie war wirklich ganz durchgefroren. Er erschauerte vor Kälte und Vergnügen.

    »Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich … ich musste nachdenken.«
    »Hindere ich dich daran?«
    Er zog sie an sich und küsste sie aufs Haar. Verliebt sah sie zu ihm auf.
    »Was quält dich, Duncan?«
    Ich frage mich, was du tun würdest, wenn du mich mit einer anderen Frau ertappst …
    »Nichts von Bedeutung.«
    Ein Häher, der sich über ihnen im Astwerk niedergelassen hatte, kreischte vorwurfsvoll. Du lügst! Du lügst! Duncan warf dem unverschämten Vogel einen finsteren Blick zu, doch der krächzte nur noch einmal und erhob sich in die Lüfte.
    »Marion, ich … ich muss mich bei dir entschuldigen.«
    »Tuch! Schon gut. Ich weiß ja, du hattest Angst um mich und dachtest…«
    »Ich hatte kein Recht, dich vor den anderen so auszuschelten.«
    Sie sagte nichts darauf, sondern schlang nur die Arme um seine Mitte, schmiegte sich an ihn und streichelte seinen Rücken.
    Wieder stand ihm das erschütternde Bild von Marion mit ihren blutverschmierten Armen vor Augen. Ja, als der Schuss fiel, war ihm die Angst in die Eingeweide gefahren, und er hatte das … Unvorstellbare vor sich gesehen: Marion, die in ihrem Blut lag. Doch das Blut hatte nur

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