Lanze und Rose
habe mit deiner Pistole gejagt!«, entgegnete sie bissig.
»Du gehst auf die Jagd? Bist du noch richtig im Kopf?«
»Was soll das denn heißen? Ich jage, seit ich zwölf war, und ich kann dir versichern, dass ich ganz gut zurechtkomme.«
»Ja, aber…«
Er unterbrach sich, ein wenig verunsichert angesichts der Wendung, welche die Ereignisse genommen hatten.
»Du hättest mir wenigstens Bescheid sagen können, dass du mit meiner Waffe losziehst!«, knurrte er. »Du hättest dir ebenso gut in den Fuß schießen können! Neulich hast du es nicht einmal geschafft, die Pistole gerade auf diesen Häscher aus Argyle zu richten.«
»Das war nicht das Gleiche, du armer Tor! Ich hatte noch nie zuvor auf einen Menschen gezielt… und ich hatte den Eindruck, diese Schwachköpfe hätten auf dich geschossen. Das nächste Mal werde ich mich hüten, dich…«
Der Rest des Satzes blieb ihr in der Kehle stecken. Plötzlich schien sie zu bemerken, dass wir sie alle umstanden. Verärgert musterte sie uns und stieß dann einen schrecklichen Fluch aus, bei dem ich unwillkürlich das Gesicht verziehen musste. Dann drehte sie sich wieder zu Duncan um und warf ihm das Messer, mit dem sie begonnen hatte, das Tier zu häuten, vor die Füße. Mit einem weiteren Fluch stapfte sie in den Wald davon.
Niemand wagte ein Wort zu sagen. Grummelnd und schimpfend schlug Duncan auf den blutgetränkten Schnee ein. Er hob das Messer auf, schaute einen Moment lang darauf herunter und machte sich dann mit einem langgezogenen Seufzer daran, die Ziege auszunehmen.
»Du tätest besser daran, dich ich bei ihr zu entschuldigen, Duncan«, riet ich ihm leise.
Er warf mir einen aufgebrachten Blick zu.
»Mich entschuldigen? Aber wofür denn?«
»Zum Ersten werden wir dank Marion heute Abend etwas zu essen haben…«
»Ich hätte schon etwas anderes aufgetrieben…«
Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Dennoch fuhr ich fort, ohne auf seine Bemerkung einzugehen.
»Zweitens war es nicht recht, dass du so auf sie losgegangen bist…«
»Mutter«, unterbrach er mich und wandte sich zu mir um. »Ich habe sehr gut verstanden, was du sagen willst. Aber Marion ist meine Frau; das sind meine Angelegenheiten. Wenn du also nichts dagegen hast, werde ich mich jetzt weiter um die Ziege kümmern. Alles andere sehen wir später.«
Hinter mir hörte ich die Männer lachen und bemerkte, dass Duncan sie mit einem finsteren Blick bedachte. Die anderen gaben sich größte Mühe, ihre Heiterkeit zu unterdrücken. Ich begann zu verstehen, warum mein Sohn sich in dieses Mädchen verliebt hatte. Sie besaß einen starken Charakter und ließ sich nichts bieten. Alles in allem gefiel sie mir gut.
Gesättigt und erschöpft saßen wir vor dem Schlafengehen noch ein wenig am Feuer und genossen die Wärme. Liam legte letzte Hand an die Unterstände. Marion, die immer noch verstimmt war, hatte sich gleich nach dem Essen zurückgezogen. Ich hegte den Verdacht, dass mein Sohn sich noch nicht bei ihr entschuldigt hatte. Doch das ging mich nichts mehr an. Duncan hatte sich zu mir gesetzt. Er hatte sich angewöhnt, mir jeden Abend davon zu erzählen, was er seit seinem Aufbruch aus dem Tal Mitte September erlebt hatte.
So hatte ich mir ein wenig erschrocken seinen Bericht von dem Überfall auf das Schiff im Loch Fyne angehört. Die Schilderung seiner Gespräche mit dem Laird von Glenlyon und dem Duke of Argyle hatte mich amüsiert. Doch heute Abend war mein Herz schwer, und ich hatte Tränen vergossen, als er mir von der
Schlacht von Sheriffmuir erzählt hatte. Ihm schien es leichter als Liam zu fallen, darüber zu sprechen. Daher wusste ich nun alles über die tagelangen Märsche, die höllische Ebene, das Lager von Ardoch und Simons Tod.
»Ranalds Tod hat Vater schwer getroffen«, meinte Duncan und sah ins Feuer. »Seitdem ist er nicht mehr er selbst.«
»Du hast recht. Verstehst du, er gibt sich die Schuld daran. Wenn man ohnmächtig den Tod seines Sohnes miterleben muss…«
»Er konnte nichts tun, Mutter. Wir waren zu weit von ihm entfernt. Die Kavallerie hat uns überrannt und alles, was ihr in den Weg kam, niedergemäht… Ich habe ebenfalls versucht, ihn zu retten, aber…«
»Ich weiß, Duncan. Es ist nun einmal geschehen, und wir können nichts mehr daran ändern. Aber Ran wird immer bei uns sein.«
»Ja, du hast ja recht.«
Unruhig knetete er den Saum seines Kilts. Sein Blick wanderte zu den Unterständen, wo Marion schlief und sein Vater soeben noch einige
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